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Daniel Richter: Das leuchtende Chaos eines Unbeugsamen

Veröffentlicht am: 4 Februar 2025

Von: Hervé Lancelin

Kategorie: Kunstkritik

Lesezeit: 8 Minuten

Daniel Richter verwandelt die Malerei in eine Waffe des Widerstands, indem er Werke schafft, in denen Abstraktion und Figuration in einem wilden Tanz verschmelzen. Seine Gemälde vibrieren mit einer punkigen Energie und zeugen von einer einzigartigen künstlerischen Vision, die keinen Kompromiss mit den etablierten Konventionen eingeht.

Hört mir gut zu, ihr Snobs, es ist Zeit, über Daniel Richter zu sprechen, geboren 1962 in Eutin, dieser deutsche Künstler, der seine Pinsel auf der Leinwand tanzen lässt, wie ein DJ seine Vinylplatten in einem Hamburger Underground-Club mixt. Und glaubt mir, es ist kein Zufall, dass ich mit diesem musikalischen Vergleich beginne. Richter, bevor er der Maler war, um den sich der Kunstmarkt heute reißt, war der Typ, der Albumcover für die deutschen Punk-Szene gestaltete. Ein Außenseiter, ein Rebell, der sich zum Meister der Leinwand entwickelte, ohne je seinen Rebelliergeist zu verlieren.

Stell dir einen Moment vor: Wir sind in den 80er Jahren, und während einige in ihren Schulterpolstern posieren und synthetische Popmusik hören, hängt unser Daniel in den Squats von Hamburg ab, gestaltet Plakate für Underground-Bands und beteiligt sich aktiv an der antifaschistischen Bewegung. Dort, in diesem Urschleim der Gegenkultur, formt sich seine künstlerische Vision. Eine Vision, die wie ein Molotow-Cocktail auf der Bühne der zeitgenössischen Kunst explodieren wird.

Richters erste große Metamorphose beginnt wirklich 1995, als er die Hochschule für bildende Künste Hamburg abschließt, wo er unter der Leitung von Werner Büttner studierte. Es ist, als hätte Richter beschlossen, alle Codes der etablierten Kunst zu nehmen und sie in einem psychedelischen Wirbel tanzen zu lassen. Diese Anfangsphase, die bis zum Jahr 2000 reicht, ist geprägt von einer abstrakten Komplexität, die halluzinogen anmutet. Diese Bilder sind wie topographische Karten einer Parallelwelt, in der jede lebhafte Farbe, jede geschwungene Form eine andere Geschichte erzählt.

Nehmen wir “Europa, immer Ärger mit dem Sogenannten” (1999), eine monumentale Leinwand, auf der Rosa- und Orangetöne in einem frenetischen Tanz kollidieren. Die situationistische Philosophie von Guy Debord klingt in diesem Werk tief nach: détournement als künstlerische Waffe, Schöpfung als Akt des Widerstands. Es ist, als hätten Kandinsky und William Burroughs LSD genommen und dabei laut Punkrock gehört. Richter begnügt sich nicht mit Malerei, er baut visuelle Labyrinthe, in denen sich der Betrachter absichtlich verliert, wie bei einem psychogeografischen Driften auf Leinwand.

Diese ersten abstrakten Werke sind eine direkte Reaktion auf die kritische Theorie der Frankfurter Schule, besonders auf Theodor Adornos Ideen zur Beziehung von Kunst und Gesellschaft. Als Adorno schrieb, dass nach Auschwitz Poesie unmöglich sei, antwortet Richter mit einer Explosion von Farben und Formen, die jeden Versuch der Rationalisierung herausfordern. So sagt er, dass Kunst noch immer ein Widerstandsinstrument sein kann, selbst in einer Welt, die das absolute Grauen erlebt hat.

In diesen abstrakten Kompositionen wird jede Leinwand zu einem Schlachtfeld, auf dem die widersprüchlichen Erbschaften der modernen Kunst aufeinandertreffen. Man findet Echos des amerikanischen abstrakten Expressionismus, jedoch gesehen durch das verzerrende Prisma der europäischen Punkkultur. Die Drippings à la Pollock werden zu Spuren kontrollierter Gewalt, die Farben von Rothko verwandeln sich in aggressive Neonlichter. Es ist mehr als eine einfache abstrakte Komposition: Es ist eine viszerale Reflexion über die europäische Identität nach dem Kalten Krieg, über diese Grenzen, die sich ständig auflösen und neu zeichnen.

Die hegelsche Philosophie der Geschichte als dialektischer Prozess nimmt hier eine explosive visuelle Form an. Jedes Bild ist eine These, die bereits ihre Antithese enthält und eine dauerhafte Spannung erzeugt, die keine Auflösung sucht. Die Formen scheinen sich ständig zu verändern, als ob die Malerei selbst sich weigern würde, in einer einzigen Bedeutung zu verharren.

Dann folgt die zweite Metamorphose, ebenso brutal wie unerwartet. Um das Jahr 2000 macht Richter eine 180-Grad-Wendung zur Figuration. Aber Vorsicht, es ist nicht die brave und wohlerzogene Figuration, die man in Kunstschulen gelehrt bekommt. Nein, es ist eine Figuration, die nach Schweiß und Angst riecht, die im Rhythmus unserer angstbesetzten Zeit pulsiert. Die Körper, die er malt, sind wie Geister, eingefangen von Wärmebildkameras, Silhouetten, die zwischen Anwesenheit und Verschwinden schwanken.

“Tarifa” (2001) ist emblematisch für diese Periode. Auf einer riesigen Leinwand sind geisterhafte Figuren auf einem scheinbaren Floß zusammengepfercht, ihre Körper strahlen ein übernatürliches Leuchten gegen einen abgrundtief schwarzen Hintergrund aus. Dieses Werk kündigt fast prophetisch die Flüchtlingskrise an, die Europa erschüttern sollte. Richter lässt sich hier von Walter Benjamins Gedanken über Geschichte und seine “dialektischen Bilder” inspirieren. Für Benjamin enthalten bestimmte Bilder Vergangenheit und Gegenwart, Individuelles und Kollektives in sich. “Tarifa” ist genau das: ein Bild, das seine Zeit transzendiert, um ein universelles Zeugnis der menschlichen Condition zu werden.

Die Technik, die in diesen figürlichen Werken verwendet wird, ist ebenso revolutionär wie ihr Inhalt. Richter trägt die Farbe in aufeinanderfolgenden Schichten auf und erzeugt Transparenzeffekte, die seinen Figuren eine spektrale Qualität verleihen. Die fluoreszierenden Farben, die er verwendet, erinnern an Infrarot-Überwachungsbilder und verwandeln seine Szenen in alptraumhafte Visionen unserer Kontrollgesellschaft. Es ist, als hätten Francis Bacon und Gerhard Richter (keine Verwandtschaft) ein Kind gehabt, das von Anarchisten aufgezogen wurde.

Diese figurative Phase ist durch eine ständige Spannung zwischen Politischem und Poetischem gekennzeichnet. Richter schöpft seine Inspiration aus der aktuellen gesellschaftlichen Brennpunktlage, verwandelt sie jedoch in nahezu mythische Visionen. In “Phienox” (2000) nimmt er ein Bild einer Demonstration und verwandelt es in eine Szene eines apokalyptischen Karnevals. Die Figuren scheinen stets kurz davor zu sein, sich aufzulösen, als ob die Realität selbst vor unseren Augen zu schmelzen beginnt. Dieser Ansatz spiegelt Gilles Deleuzes Denken über den “korper ohne Organe” wider, die Idee eines Körpers, der von organisatorischen Zwängen befreit ist und sich ständig transformiert.

Die 2000er Jahre sehen Richter eine einzigartige Ikonographie entwickeln, bevölkert von maskierten Gestalten, Ritualgewaltszenen und urbanen Landschaften, die in psychedelische Kriegsgebiete verwandelt werden. “Eine Stadt namens Authen” (2001) zeigt eine Stadt, die von einer seltsamen Revolution erfasst ist, in der Demonstranten mit der Architektur in einem Strudel fluoreszierender Farben zu verschmelzen scheinen. Es ist, als hätte der Künstler einen Weg gefunden, das kollektive Unbewusste unserer Zeit zu malen, mit all seinen Ängsten und verdrängten Begierden.

In diesen Gemälden beschränkt sich Richter nicht darauf, die Realität darzustellen, sondern seziert sie mit der Präzision eines Chirurgen und dem Zorn eines Punks. Er nimmt Zeitungsbilder, aktuelle Fotos und verwandelt sie in halluzinatorische Visionen, die uns unseren eigenen Dämonen gegenüberstellen. Die Gewalt ist allgegenwärtig, wird aber stets durch eine malerische Behandlung vermittelt, die sie gleichzeitig intensiver und distanzierter erscheinen lässt, wie jene Kriegsbilder, die wir abgelenkt auf unseren Bildschirmen beim Abendessen anschauen.

Diese Periode sieht auch Richter, der die Grenzen zwischen Figuration und Abstraktion auf neue Weise erkundet. Die Körper in seinen Gemälden sind nie ganz solide, sie scheinen immer kurz davor zu sein, in reine Farbflecken zu zerfallen. Es ist eine Malerei der Instabilität, die unsere Zeit der flüssigen Wahrheiten und alternativen Realitäten perfekt widerspiegelt.

Kürzlich, in seiner dritten Metamorphose, hat Richter diese Erforschung der Grenzen noch weiter vorangetrieben. Seine aktuellen Werke schweben in einem faszinierenden Zwischenbereich, weder ganz abstrakt noch vollständig figürlich. In der Serie “Stupor” (2023), ausgestellt in der Galerie Thaddaeus Ropac in London, tauchen Figuren auf und verschwinden in Wirbeln von Farben, wie Geister, die im malerischen Material selbst gefangen sind. Der dominierende rote Hintergrund wirkt als eine Kraft, die sowohl vereinigt als auch destabilisierend wirkt, und schafft eine visuelle Spannung, die den Betrachter in einem Zustand permanenter Wachsamkeit hält.

Diese neuen Werke markieren eine Wende in Richters Praxis. Der Künstler scheint einen fragilen Gleichgewichtspunkt zwischen seinen verschiedenen Perioden gefunden zu haben, und schafft Gemälde, die alle seine früheren Anliegen synthetisieren. Die Gewalt ist weiterhin präsent, hat sich jedoch nach innen verlagert und ist mehr psychologischer als physischer Natur. Die Figuren winden und verdrehen sich, als wären sie in einem inneren Kampf gefangen, ihre Körper werden zum Schlachtfeld unsichtbarer Kräfte.

Was bei Richter bemerkenswert ist, ist, dass er eine intellektuelle Kohärenz bewahrt, während er sich formal ständig neu erfindet. Er malt nicht, um den Kunstmarkt zu gefallen oder die Erwartungen der Sammler zu befriedigen. Nein, er malt, weil er keine Wahl hat, weil die Malerei seine Art ist, die Welt um uns herum zu verstehen und sich ihr zu stellen.

In seinem Berliner Atelier, gegenüber dem Theater Metropol, einem Jugendstilrelikt im Schöneberger Viertel, setzt Richter seine Arbeit fort und schafft Werke, die unsere Erwartungen herausfordern. Er arbeitet allein, ohne Assistenten, in einem relativ bescheidenen Raum für einen Künstler seiner Größe. Diese Einsamkeit ist für ihn notwendig und ermöglicht eine Intimität mit der Malerei, die in einer industrielleren Produktion unmöglich wäre.

Richters Werdegang ist eine Lektion für alle, die glauben, zeitgenössische Kunst sei nur ein großer zynischer Scherz. Hier ist ein Künstler, der seine Integrität bewahrt hat, während er sich weiterentwickelt hat, der seine Punkwut in eine ausgefeilte schöpferische Kraft verwandeln konnte, ohne jemals seine Schärfe zu verlieren. Er zeigt uns, dass Malerei noch politisch sein kann, ohne didaktisch zu sein, persönlich ohne narzisstisch zu sein, komplex ohne hermetisch zu sein.

Wenn man sein Gesamtwerk betrachtet, fällt die Kohärenz seiner Vision auf, trotz der radikalen stilistischen Veränderungen. Ob in seinen psychedelischen Abstraktionen der 90er Jahre, seinen albtraumhaften figürlichen Szenen der 2000er Jahre oder seinen jüngsten hybriden Erkundungen, Richter hält eine konstante Spannung zwischen Ordnung und Chaos, Kontrolle und Hingabe, politisch und poetisch aufrecht.

Diese Spannung ist besonders deutlich in seiner Art, mit Farbe umzugehen. Die aggressiven Neonfarben seiner ersten Werke haben sich zu raffinierteren, aber immer noch elektrisierenden Farbpaletten entwickelt. In seinen jüngsten Gemälden schafft das dominierende Rot ein Kraftfeld, das die explosive Energie der Figuren kaum zu fassen scheint. Es ist, als ob die Farbe selbst zu einem Akteur im Drama geworden wäre, das sich auf der Leinwand abspielt.

Und wissen Sie was? In einer zunehmend sterilen Kunstwelt, die für Instagram und internationale Messen formatiert ist, brauchen wir dringend Künstler wie Daniel Richter. Künstler, die keine Angst haben, sich die Hände schmutzig zu machen, die Risiken eingehen, die verstehen, dass Kunst nicht nur Ware ist, sondern ein Mittel des Widerstands, eine Art, in einer Welt, die jeden Tag ein wenig mehr ihre Menschlichkeit zu verlieren scheint, Mensch zu bleiben.

Die Malerei von Daniel Richter ist wie ein verzerrter Spiegel unserer Zeit. Sie zeigt uns nicht, was wir sind, sondern was wir sein könnten, zum Guten wie zum Schlechten. In jedem Gemälde spürt man die Gegenwart der Geschichte, nicht die offizielle Geschichte aus Büchern, sondern die, die auf der Straße stattfindet, in den Randbereichen, in den Schattenzonen unserer Gesellschaft.

Also das nächste Mal, wenn Sie ein Werk von Daniel Richter sehen, begnügen Sie sich nicht damit, es für seine formalen Qualitäten zu bewundern. Schauen Sie tiefer. Sehen Sie die Wut, die unter der Oberfläche brodelt, das kritische Denken, das jeden Pinselstrich strukturiert, das politische Engagement, das jede Farbwahl durchdringt. Denn Daniel Richter ist nicht nur ein Maler, er ist ein Krieger, der die Leinwand als Schlachtfeld gewählt hat. Und glauben Sie mir, es ist ein Kampf, der es wert ist, beobachtet zu werden.

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Referenz(en)

Daniel RICHTER (1962)
Vorname: Daniel
Nachname: RICHTER
Geschlecht: Männlich
Staatsangehörigkeit(en):

  • Deutschland

Alter: 63 Jahre alt (2025)

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