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Die Ästhetik des Chaos bei Jarik Jongman

Veröffentlicht am: 15 Mai 2025

Von: Hervé Lancelin

Kategorie: Kunstkritik

Lesezeit: 10 Minuten

Jarik Jongman malt modernistische architektonische Räume, die ohne menschliche Präsenz sind und oft in Flammen stehen. Durch diese emblematischen Gebäude, die in zeitgenössische Ruinen verwandelt werden, stellt der niederländische Künstler unsere postfaktische Gesellschaft und den Zusammenbruch der Ideale von Fortschritt und Rationalität in Frage.

Hört mir gut zu, ihr Snobs. Wenn man die Bilder des niederländischen Malers Jarik Jongman betrachtet, kann man nicht umhin, mit dem spektakulären Zusammenbruch unserer Gewissheiten konfrontiert zu werden. Seine in Flammen stehenden modernistischen Villen, seine verlassenen Innenräume und seine leeren Wartezimmer sprechen uns direkt auf den Zustand unserer Zivilisation an. Und lasst mich euch sagen, dass die Diagnose nicht rosig ist.

Jarik Jongman, dieser 1962 in Amsterdam geborene Künstler und Preisträger des prestigeträchtigen Luxembourg Art Prize im Jahr 2017, malt nicht nur Gebäude. Er seziert unsere Zeit mit einer Präzision, die den stoischsten Analysten erröten lassen würde. Als ehemaliger Assistent von Anselm Kiefer im Jahr 1995 schöpft Jongman aus einem Repertoire von Bildern, die er selbst fotografiert oder auf Flohmärkten, in Büchern, Magazinen und im Internet gefunden hat. Aber täuscht euch nicht: Diese vielfältigen Quellen sind nur der Ausgangspunkt einer tiefgehenden Reflexion über Ontologie, Religion und Geschichte.

Was sofort an Jongmans Werk auffällt, ist seine Besessenheit vom modernistischen Bau. Die Villa Savoye von Le Corbusier, das Desert House von Richard Neutra, diese Ikonen einer Epoche, in der man noch an Fortschritt, Vernunft und verbesserungsfähigen Menschen glaubte. Doch unter seinem Pinsel verwandeln sich diese Symbole der Utopie in lodernde Ruinen, in Überreste eines Traums, der vor unseren gleichgültigen Augen verglüht ist.

In diesem Vorgehen steckt etwas zutiefst Kantianisches. Emmanuel Kant, jener Philosoph der Aufklärung, der den Menschen aufforderte, es zu wagen, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, hätte in Jongmans Bildern wohl eine grundsätzliche Befragung der Grenzen der menschlichen Vernunft erkannt [1]. Denn während der Architekturmodernismus jenes blinde Vertrauen in die Macht der Rationalität verkörperte, eine bessere Welt zu schaffen, zeigen uns Jongmans Gemälde die Schattenseite dieses Ehrgeizes.

Nehmen wir zum Beispiel sein Werk mit dem Titel “It’s Gonna Be Great, It’s Gonna Be Fantastic” (2017) von 180 x 244 cm. Dieses Gemälde zeigt das Innere des Penthouse von Donald Trump in New York, das in einen heruntergekommenen und verlassenen Raum verwandelt wurde. Der ironische Titel spiegelt die hohlen Versprechen des amerikanischen Präsidenten während seiner ersten Amtszeit wider und symbolisiert perfekt das, was Jongman “unsere postfaktische Gesellschaft” nennt. Die modernistische Architektur des Wolkenkratzers, ein Symbol des Fortschritts, wird durch ein Geschmacksverirrtes Neo-Versailles-Dekor entstellt, das die Korruption der Ideale der Aufklärung durch den zeitgenössischen Narzissmus illustriert.

Diese Spannung zwischen den edlen Aspirationen der Moderne und ihrer heutigen Perversion zieht sich durch das gesamte Werk von Jongman. Wie Julia Beauquel, Doktorin für Ästhetik und Kunstphilosophie, erklärt: “Der Grund für diese Wahl könnte die Vorliebe des Malers für die Ästhetik dieser architektonischen Werke sein. Aber umfassender betrachtet sind sie für ihn ein Symbol eines bestimmten Geistes, der ihm lieb ist: der Moderne” [2]. Jongman erinnert uns daran, dass die modernistische Architektur von einem echten humanistischen und sozialen Projekt getragen wurde: eine offenere, transparentere, egalitärere Gesellschaft zu schaffen.

Doch leider ist dieses schöne Projekt gescheitert. Und Jongmans Malerei konfrontiert uns mit den rauchenden Trümmern dieser Utopie. Die Flammen, die diese modernistischen Gebäude verzehren, sind nicht nur ein Symbol der Transformation, wie der Künstler selbst hervorhebt. Sie sind auch eine brutale Erinnerung an die Fragilität unserer intellektuellen und materiellen Konstruktionen. Der Brand, der 2012 die Cité radieuse von Le Corbusier in Marseille tatsächlich verwüstete, erhält unter Jongmans Pinsel eine metaphysische Dimension.

In dieser apokalyptischen Vision liegt etwas, das an den Film von David Lynch erinnert, den Jongman zu seinen Einflüssen zählt. Wie in “Lost Highway” oder “Mulholland Drive” sind die vom niederländischen Künstler gemalten Räume von einer beunruhigenden Fremdheit durchdrungen. Die wenigen menschlichen Figuren, die in seinen Gemälden erscheinen, gleichen Gespenstern, Tänzerinnen mit verschwommenen Gesichtern, die einen Folkloretanz in einem unerwarteten architektonischen Rahmen aufführen. Man denkt an die gequälten Gesichter der Figuren von Francis Bacon, aber auch, dunkler, an Propagandabilder totalitärer Regime, die nationale Traditionen verherrlichen.

Denn man darf nicht vergessen, dass der modernistische Architekturstil seine heftigsten Kritiker in totalitären Regimes hatte. Wie Jongman selbst erinnert: “Nach dem Aufstieg Joseph Stalins lehnte die sowjetische Regierung den Modernismus mit dem Vorwand von Elitismus ab. Die nationalsozialistische Regierung Deutschlands betrachtete den Modernismus als narzisstisch und absurd sowie als ‘jüdisch’ und ‘negro’. Die Nazis zeigten modernistische Gemälde neben Werken von Geisteskranken in einer Ausstellung mit dem Titel ‘Entartete Kunst’.” Dieses historische Bewusstsein fügt Jongmans Werk eine zusätzliche Komplexitätsebene hinzu.

Der Künstler selbst gesteht: “In meiner Arbeit versuche ich ein Gefühl einer drohenden Katastrophe zu vermitteln.” Diese apokalyptische Atmosphäre, die seine Gemälde durchdringt, kann mit der ästhetischen Theorie des Sublimen in Verbindung gebracht werden, die von Edmund Burke und Emmanuel Kant entwickelt wurde. Das Sublime ist jene ästhetische Erfahrung, die uns mit etwas so Großem, so Mächtigem konfrontiert, dass unsere Vorstellungskraft überwältigt wird. Angesichts der brennenden Villen von Jongman empfinden wir die Mischung aus Schrecken und Bewunderung, die das Sublime charakterisiert.

Aber es gibt in dieser apokalyptischen Vision auch eine offensichtliche soziologische Dimension. Die Kritikerin Lisa Takahashi schreibt über Jongmans Werk: “Ohne menschliche Präsenz scheint das Gemälde rückblickend auf eine Zeit großer Versprechen zu blicken, in einem Moment, in dem der Eindruck entsteht, dass dieses Versprechen längst verblasst ist” [3]. Diese Analyse trifft den Nagel auf den Kopf. Die verlassenen Räume von Jongman sind stumme Zeugen einer im Niedergang begriffenen Zivilisation, eines gescheiterten Gesellschaftsprojekts.

Wenn man ihn nach seiner Faszination für verlassene Räume fragt, antwortet Jongman: “Es gibt eine ausgeprägte Melancholie, die mit dem Verlassen verbunden ist, vor allem wenn die Funktion des Raums jenseits jeglicher Wiedererkennung verloren ist. Es entsteht eine neue Form von Schönheit: durch die Kräfte der Natur und der Zeit, aber auch durch den Betrachter”. Diese Überlegung offenbart die tief philosophische Dimension seiner Arbeit. Der Künstler interessiert sich dafür, wie wir Räume mit Bedeutung füllen und wie diese Bedeutung mit der Zeit verschwinden kann.

Das ist besonders eindrucksvoll in seiner Serie verlassener Wartezimmer. “Ein Wartezimmer ist ein Raum, in dem die Zeit oder das Leben zu schweben scheint. Wir werden vorübergehend in eine Situation versetzt, in der wir nicht handeln können. Und wir müssen es nicht. Es wird von uns nicht erwartet. Es bietet einen Moment der Kontemplation, mit vorübergehend aufgehobener Verantwortung”. Diese Analyse des Künstlers spiegelt die Gedanken von Soziologen wie Marc Augé zu den “Nicht-Orten” wider, jenen Transitorten, die charakteristisch für unsere Übermodernität sind [4].

Aber das verlassene Wartezimmer nimmt bei Jongman eine noch tiefere existenzielle Dimension an: “Wir lieben es zu glauben, dass wir im Leben Entscheidungen treffen, Entscheidungen, die aus unserem freien Willen entstehen. Aber vielleicht ist unser Gefühl der Kontrolle eine Illusion. Letztendlich gibt es die Angst, die Erkenntnis selbst, dass alles vergeblich ist, dass alles sinnlos ist. Und was, wenn Warten tatsächlich alles ist, wozu wir fähig sind?” Diese desillusionierte Überlegung erinnert an die Absurdität nach Camus, aber auch an die Analysen von Zygmunt Bauman über die “flüssige Moderne”, diesen zeitgenössischen Zustand, in dem nichts mehr stabil ist, in dem alles in einem ständigen Fluss zerfällt.

Setzen wir unsere Analyse mit einem Blick auf die malerische Behandlung dieser verlassenen Räume fort. Jongman verwendet eine Technik, die er selbst als “aggressiver, brutaler” beschreibt als die, die er zuvor anwendete. Dieser gewalttätigere malerische Ansatz ist perfekt auf sein Thema abgestimmt. Die Pastosität, die Läufe, die rauen Texturen verleihen seinen Bildern eine beeindruckende physische Präsenz. Der Betrachter betrachtet nicht einfach ein Bild, er wird mit einem Objekt konfrontiert, das sich ihm mit einer fast bedrohlichen Kraft aufdrängt.

Diese Materialität der Malerei ist besonders deutlich in Werken wie “Once Upon A Time In The West”, entstanden 2017. Dieses monumentale Gemälde (244 x 366 cm) kombiniert Öl, Acryl, Gips und Pech auf einer Platte. Die rohen, fast primitiven Materialien stehen im Kontrast zur architektonischen Raffinesse des dargestellten Motivs. Diese Spannung zwischen der Brutalität des Materials und der Eleganz der modernistischen Formen drückt perfekt den Zusammenbruch der Ideale der Moderne unter dem Gewicht der Realität aus.

In seinem Werk “The Judgement” (2020) behandelt Jongman einen weiteren Aspekt unserer Gegenwart: die Globalisierung des Individuums. Wie er erklärt: “Die technologische Entwicklung hat es ermöglicht, sich über den Globus auszubreiten, um sich zu präsentieren und zu vermarkten. Gleichzeitig hat dies zu einer gemeinsamen und stereotypen visuellen Sprache geführt, sowie zu einem gemeinsamen Streben, glücklich, reich und sorglos zu sein, wobei jede Form von Dissens und Diskussion harmlos gemacht wird, da sie im Cyberraum stattfindet.” Diese soziologische Analyse unserer narzisstischen und oberflächlichen Zeit findet ihren visuellen Ausdruck in einem Gemälde, in dem die modernistische Architektur nur noch eine Kulisse für unser Ego-Theater ist.

In diesem Bild, wie auch in anderen, fällt das fast vollständige Fehlen von menschlichen Figuren auf. Wenn sie erscheinen, sind es verschwommene Silhouetten, Geister, die diese verlassenen Räume heimsuchen. Diese Entmenschlichung von ursprünglich für den Menschen geschaffenen Orten ist eine implizite Kritik am Scheitern des modernistischen Projekts. Wie der Künstler hervorhebt: “Ein integraler Aspekt dieses Prozesses ist die sorgfältige Untersuchung des Anderen: der fortlaufende Mechanismus der Beurteilung, durch den wir uns selbst und andere ständig bewerten, um festzustellen, ob wir/sie dem globalen Standard entsprechen, den wir geschaffen haben, basierend auf Narzissmus, Unsicherheit und Angst.”

Was besonders interessant an Jongmans Werk ist, ist die Art und Weise, wie er dieser soziologischen Kritik eine metaphysische Dimension verleiht. Denn jenseits der Anklage unserer “Post-Wahrheits”-Zeit stellen uns seine Gemälde grundlegendere Fragen über unser Verhältnis zur Zeit, zum Raum, zum Gedächtnis. Die modernistische Architektur in Flammen wird zu einer zeitgenössischen Vanitas, einem Memento Mori, das uns an die Zerbrechlichkeit all unserer Konstruktionen erinnert.

Man kann eine Parallele zwischen dieser Sicht und der des Philosophen Walter Benjamin ziehen, der in den Ruinen die sichtbare Manifestation des Zeitverlaufs sah, die Materialisierung der Geschichte als Katastrophe. Doch während Benjamin einen gewissen revolutionären Optimismus bewahrte, wirkt Jongman desillusionierter. Seine modernistischen Ruinen tragen kein Versprechen der Erlösung; sie zeugen lediglich vom Scheitern eines zivilisatorischen Projekts.

Diese ernüchterte Sicht erinnert auch an die von zeitgenössischen Filmemachern wie Lars von Trier, dessen Film “Melancholia” ebenfalls den Zusammenbruch unserer Zivilisation angesichts einer kosmischen Katastrophe erforscht. Die Melancholie, die Jongmans Gemälde durchdringt, besitzt diese gleiche kosmische Qualität, dieselbe metaphysische Dimension. Es ist nicht nur die Traurigkeit über ein gescheitertes Architekturprojekt, sondern ein tieferes Gefühl existenziellen Verlusts.

Dennoch ist Jongmans Malerei nicht verzweifelt. In seinem Ansatz liegt eine Form von Stoizismus, eine nüchterne Akzeptanz der zeitgenössischen Bedingung. Wie er selbst über die verlassenen Räume sagt: “Eine neue Form von Schönheit wird geschaffen: durch die Kräfte der Natur und der Zeit, aber auch durch den Betrachter.” Diese Fähigkeit, in den Ruinen, im Zerfall Schönheit zu sehen, zeugt von einer Form der Belastbarkeit.

Vielleicht liegt hier die wahre Stärke von Jongmans Werk: in seiner Fähigkeit, unsere Angst vor dem Zusammenbruch der großen Erzählungen der Moderne in eine ästhetische Erfahrung zu verwandeln. Seine Gemälde bieten keine einfachen Lösungen, keine trügerischen Trostpflaster. Sie konfrontieren uns mit der rohen Realität unserer zeitgenössischen Situation, aber sie tun dies mit einer solchen malerischen Meisterschaft, dass diese Konfrontation zu einer kathartischen Erfahrung wird.

Beim Betrachten der brennenden modernistischen Villen von Jarik Jongman sind wir nicht nur Zuschauer einer Katastrophe; wir nehmen an einem zeitgenössischen Ritual teil, einer Trauerfeier für die verlorenen Ideale der Moderne. Und in dieser Zeremonie gibt es vielleicht die Möglichkeit einer kollektiven Trauer, einer nüchternen Akzeptanz unserer Lage, dem ersten Schritt zu einer möglichen Erneuerung.

Denn während die brennende modernistische Architektur das Scheitern eines bestimmten zivilisatorischen Projekts symbolisiert, öffnet sie vielleicht auch den Weg zu neuen Formen des Wohnens in der Welt. Die verlassenen Räume von Jongman enthalten gerade in ihrer Verlassenheit das Versprechen einer Wiedereignahme, einer Neuerfindung. Wie architektonische Zeugnisse laden sie uns ein, neue Weisen des Seins in der Welt zu erdenken, jenseits der rauchenden Ruinen der Moderne.

Die Kunst von Jarik Jongman bietet uns letztendlich diese seltene Möglichkeit: die Entzauberung zu durchschreiten, ohne in Zynismus zu verfallen, den Zusammenbruch unserer großen Erzählungen direkt anzuschauen, ohne dabei auf Schönheit zu verzichten. In einer Welt, die vom medialen Lärm, Fake News und der Oberflächlichkeit sozialer Netzwerke überflutet wird, bieten seine Gemälde einen Raum der Stille und der Kontemplation. Ein Raum, in dem sich das Denken wieder entfalten kann, in dem der Blick auf die Ruinen unserer Zivilisation verweilen und dort vielleicht die Anfänge einer neuen Welt wahrnehmen kann.


  1. Kant, Emmanuel. Was ist Aufklärung?, 1784, Berlinische Monatsschrift.
  2. Beauquel, Julia. Ausstellungstext für die Ausstellung “Chaos and Uncertainty”, La Pinacothèque, Luxemburg, 2018.
  3. Takahashi, Lisa. “Jarik Jongman: Die Melancholie verlassener Gebäude”, Jackson’s Art Blog, 8. Februar 2018.
  4. Augé, Marc. Nicht-Orte, Einführung in eine Anthropologie der Übermoderne, Le Seuil, 1992.
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Referenz(en)

Jarik JONGMAN (1962)
Vorname: Jarik
Nachname: JONGMAN
Geschlecht: Männlich
Staatsangehörigkeit(en):

  • Niederlande

Alter: 63 Jahre alt (2025)

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