Hört mir gut zu, ihr Snobs. Während ihr euch mit Konzeptkunst und kurzlebigen Trends schmückt, erweckt eine Frau in Seoul das, was ihr zu vergessen bevorzugt. Joung Young-Ju malt keine Landschaften, sie fördert Seelen zutage. Diese 1970 geborene koreanische Künstlerin formt direkt im zerknitterten Hanji-Papier die letzten Zeugen einer Menschlichkeit, die die Moderne beharrlich unter Beton und Stahl zu begraben sucht. Ihre Notdörfer, ihre Slums, die im Halbdunkel erleuchtet sind, sind keine bloßen nostalgischen Anklänge. Sie verkörpern einen poetischen Widerstand gegen das, was Jean-François Lyotard die “postmoderne Bedingung” [1] nannte.
In La Condition postmoderne, veröffentlicht 1979, diagnostizierte der französische Philosoph das Ende der großen Erzählungen, die unsere westlichen Gesellschaften strukturierten. Keine vereinheitlichenden Mythen mehr, keine kollektiven Emanzipationsprojekte, nur noch Fragmente von Sinn und verstreute “kleine Erzählungen”, die mühsam versuchen, der Welt Kohärenz zu verleihen. Diese Analyse, formuliert im Kontext der aufkommenden Informatisierung entwickelter Gesellschaften, findet heute eine beunruhigende Resonanz in dem Werk von Joung Young-Ju. Denn ihre Gemälde entfalten sich gerade in jenem Raum der Trostlosigkeit, den Lyotard vorhergesehen hatte: dort, wo die alten Erzählungen von Fortschritt und urbaner Entwicklung einer Unendlichkeit fragiler individueller Schicksale gewichen sind, die hinter den Fenstern von zum Abriss bestimmten Elendsvierteln schimmern.
Die Künstlerin verbirgt nicht den autobiographischen Ursprung ihrer Inspiration. In den armen Vororten von Seoul geboren, wuchs sie mitten in jenen Barackendörfern auf, die die koreanische Wirtschaftsexpansion der 1980er und 1990er Jahre systematisch niederreißen sollte. An den Bildenden Künsten in Paris ausgebildet, jenes Frankreich, das ihr die konzeptuellen Werkzeuge gab, ihre eigene Situation zu denken, kehrte sie mit dem neuen Blick der Exilierten nach Hause zurück. Beim Besteigen des Namsan-Berges und dem Betrachten der südkoreanischen Hauptstadt in der Dämmerung erkannte sie die epische Dimension jener Lichter, die im Dunkeln blinken. Jeder Lichtpunkt erzählt ein Leben, jedes schiefe Haus birgt die Träume und Verzweiflungen ihrer unsichtbaren Bewohner.
Diese panoramische Sicht ist keineswegs zufällig. Sie reiht sich in die proustsche Tradition ein, in der die unwillkürliche Erinnerung auftaucht, um die wahre Natur von Zeit und Existenz zu offenbaren. Denn Marcel Proust hatte in Auf der Suche nach der verlorenen Zeit meisterhaft gezeigt, wie ein einfacher sensorischer Detailreiz, der Geschmack einer in Tee getunkten Madeleine, die Schleusen der Erinnerung öffnen und eine ganze Epoche in ihrer intimsten Komplexität wiedergeben kann [2]. Bei Joung Young-Ju ist es die raue Struktur des Hanji-Papiers, dieses traditionelle koreanische Material aus Maulbeerbaumrinde, das als Auslöser der Erinnerung fungiert. Indem sie die Blätter zerknittert, zerreißt und knetet, bevor sie sie auf die Leinwand klebt, vollzieht die Künstlerin nicht nur eine Technik: sie vollzieht ein Ritual der Wiederauferstehung.
Der kreative Prozess von Joung Young-Ju verdient es, eingehend betrachtet zu werden, denn er offenbart eine in der koreanischen Kultur tief verwurzelte Kunstphilosophie. Das Hanji wird nicht zufällig gewählt; dieses jahrtausendealte Papier, das traditionell zur Auskleidung von Innenräumen verwendet wird, besitzt einzigartige Lichtabsorptions- und Wärmeregulationseigenschaften. Indem sie es als Rohmaterial für ihre urbanen Gemälde nutzt, schafft die Künstlerin eine symbolische Kontinuität zwischen der traditionellen Wohnform und den zeitgenössischen Elendsvierteln, die sie darstellt. Die Falten und Knicke, die sie dem Papier auferlegt, bevor sie es auf die Leinwand bringt, ahmen das Altern, den Verschleiß der Zeit nach, aber auch die Widerstandsfähigkeit von Materialien, die Jahrhunderte überdauert haben. Diese haptische, fast skulpturale Dimension verwandelt jedes Werk in ein hybrides Objekt, in dem Malerei und Relief, Zweidimensionales und Dreidimensionales verschmelzen.
Der proustsche Einfluss beschränkt sich nicht nur auf diese sinnliche Dimension des kreativen Prozesses. Er durchdringt das Selbstverständnis, das Joung Young-Ju von Kunst und Zeit hat. Wie der Erzähler der Recherche, der spät erkennt, dass nur das Schreiben die Zeit vor dem Vergessen bewahren kann, versteht die koreanische Künstlerin, dass ihre Gemälde der einzige Schutz gegen das programmierte Verschwinden dieser prekärer Welten sind. Marcel Proust schrieb: “Das wahre Paradies ist das Paradies, das wir verloren haben.” Für Joung Young-Ju bedeuten diese seit 2008 immer wieder gemalten provisorischen Dörfer genau das: eine verlorene Welt, die man vor dem Vergessen retten muss, nicht aus steriler Nostalgie, sondern weil sie essentielle Werte birgt, die die triumphierende Moderne dazu neigt, mit Füßen zu treten. Diese koreanische Version der “Suche nach der verlorenen Zeit” vollzieht sich in einer plastischen Geste von seltener emotionaler Intensität.
Denn es geht nicht nur darum, das Verschwinden dieser Arbeiterviertel zu dokumentieren. Das Werk von Joung Young-Ju bewirkt eine wahrhafte poetische Verwandlung der urbanen Armut. Ihre nächtlichen Kompositionen, getaucht in ein goldenes Licht, das scheinbar aus dem Inneren der provisorischen Behausungen strahlt, verleihen diesen Architekturen der Prekarität eine ungeahnte Würde. Die Dächer aus Wellblech, die nackten Betonblockmauern, die wackeligen Treppen, die sich zwischen den Häusern schlängeln, all das, was die offizielle Stadtplanung als zu beseitigendes Übel ansieht, erhält unter ihrem Pinsel eine melancholische Schönheit, die an Prousts schönste Seiten über die Weißdornbüsche von Combray oder die Seerosen der Vivonne erinnert.
Diese Ästhetisierung der Armut könnte verdächtig erscheinen, wenn sie nicht von einer expliziten politischen Vision getragen würde. Joung Young-Ju verbirgt nicht, dass ihre Gemälde eine Form des Widerstands gegen das geplante Auslöschen dieser Arbeiterviertel darstellen. In einem Südkorea, das zu den am weitesten entwickelten Volkswirtschaften Asiens gehört, wirft das Fortbestehen dieser Armutstaschen Fragen auf. Die Künstlerin vermeidet jeglichen Manichäismus: Sie dämonisiert den städtischen Fortschritt nicht, aber sie macht sichtbar, was dieser zu verschleiern droht. Ihre Werke fungieren als notwendige Gegenperspektiven zur offiziellen Erzählung vom “koreanischen Wunder”.
Es ist genau hier, dass der Verweis auf Lyotard seine volle Relevanz entfaltet. Der französische Philosoph hatte in der postmodernen Bedingung das Ende dessen identifiziert, was er die “Metanarrative” nannte, jene großen totalisierenden Erzählungen, die der kollektiven Geschichte Sinn verliehen. Die Erzählung vom Fortschritt, von der Emanzipation durch Wissenschaft und Technik, vom unabwendbaren Gang zu einer besseren Welt, all dies war mit den Katastrophen des 20. Jahrhunderts zusammengebrochen. In diesem Kontext der “Krise der Legitimation” plädierte Lyotard dafür, die “kleinen Erzählungen” wieder aufzuwerten, jene lokalen, singulären Geschichten, die der totalitären Logik der großen Narrative entgehen. Das Werk von Joung Young-Ju fügt sich voll in diese Perspektive ein. Gegenüber dem Metanarrativ der koreanischen Stadtentwicklung stellt sie eine Vielzahl individueller Mikronarrative dar, verkörpert durch diese erleuchteten Fenster, die ihre Gemälde wie Sternenbilder durchziehen.
Doch die Künstlerin geht in ihrer Reflexion über die zeitgenössische Bedingung weiter als Lyotard. Wo der Philosoph sich mit der Feststellung der Fragmentierung des Sinns begnügte, schlägt sie eine Form der poetischen Rekombination vor. Ihre urbanen Landschaften, obwohl sie Räume der Prekarität darstellen, strahlen eine beunruhigende Gelassenheit aus. Dieser scheinbare Frieden ist keine Resignation, sondern beruht auf einer Form der Versöhnung mit der Verletzlichkeit der menschlichen Existenz. Indem sie sich weigert, die Bewohnerinnen und Bewohner ihrer Kompositionen verschwinden zu lassen (im Gegensatz zu dem, was geschrieben wurde, sind menschliche Figuren präsent, jedoch introvertiert und nur durch die Anwesenheit dieser häuslichen Lichter spürbar), suggeriert Joung Young-Ju, dass der wahre Reichtum einer Gesellschaft nicht an ihren Wolkenkratzern gemessen wird, sondern an ihrer Fähigkeit, Räume menschlicher Alltaglichkeit zu bewahren.
Diese Philosophie des Alltäglichen wurzelt in einer spezifisch asiatischen Sensibilität, die hervorgehoben werden sollte. Im Gegensatz zur westlichen Kunst, die dazu neigt, ihre Motive zu dramatisieren oder zu heroisieren, pflegt die Malerei von Joung Young-Ju eine Form von kontemplativer Demut, die an die schönsten Erfolge der Zen-Ästhetik erinnert. Ihre Kompositionen, stets nach dem Prinzip der Wiederholung und Variation aufgebaut, schaffen einen visuellen Rhythmus, der zur Meditation einlädt und nicht zur Analyse. Man denkt an diese japanischen Gärten, in denen jeder Stein, jedes Moos, jedes Blatt Teil eines harmonischen Ganzen ist, ohne seine eigene Einzigartigkeit zu verlieren. Ebenso existiert jedes Haus in den Gemälden von Joung Young-Ju sowohl als Element eines Ganzen als auch als individueller Mikrokosmos, der seine eigene Geschichte trägt.
Diese kontemplative Dimension darf die technische Raffinesse der Künstlerin nicht verschleiern. Ihr Gebrauch von Hanji zeigt eine vollendete Meisterschaft der Material- und Struktureffekte. Durch das Übereinanderlegen von zerknitterten Papierschichten, bevor sie Acryl aufträgt, schafft sie subtile Reliefs, die das Licht auf unvorhersehbare Weise einfangen. Diese Technik, die sie seit ihren Pariser Studienjahren entwickelt hat, ermöglicht ihr, Tiefen- und Farbspiel-Effekte von seltener Feinheit zu erzielen. Ocker, Brauntöne und Gold mischen sich auf diesen unregelmäßigen Oberflächen zu einer unendlich reichen Farbpalette, die sowohl an die Patina der Zeit als auch an die Wärme häuslicher Feuerstellen erinnert.
Die jüngste Entwicklung der Arbeit von Joung Young-Ju bestätigt die Richtigkeit dieses Ansatzes. Ihre jüngsten Werke, die insbesondere Ende 2024 bei Almine Rech in London ausgestellt werden, zeugen von einer Vertiefung ihrer künstlerischen Forschung. Die Formate sind größer geworden, die Kompositionen komplexer, aber vor allem gewinnt das Licht zunehmend an Bedeutung. Diese goldenen Schimmer, die die urbane Dunkelheit durchdringen, dienen nicht mehr nur dazu, eine menschliche Präsenz anzuzeigen, sie scheinen eine Form universeller Hoffnung in sich zu tragen. Die Künstlerin selbst erkennt es an: “Galamment, das Licht tritt stärker nach außen und erhellt weiter.”
Diese lichtbezogene Entwicklung kann als künstlerische Antwort auf die geopolitischen Umwälzungen unserer Zeit gelesen werden. In einer Zeit, in der sich asiatische Metropolen als neue Zentren der Welt etablieren, in der Seoul mit Tokio und Hongkong um die Verkörperung triumphierender Modernität konkurriert, erinnert das Werk von Joung Young-Ju daran, dass dieser wirtschaftliche Erfolg nicht seine humanen Grundlagen vergessen lassen darf. Ihre beleuchteten Elendsviertel fungieren als urbane Memento mori: Sie erinnern uns daran, dass jede Größe auf Zerbrechlichkeit gebaut ist und dass authentische Kunst die Aufgabe hat, diese Erinnerung lebendig zu halten.
In diesem Sinne überschreitet das Werk von Joung Young-Ju seinen koreanischen Kontext bei Weitem, um eine universelle Dimension zu erlangen. Wie ein Kritiker bei ihrer Ausstellung in London treffend bemerkte, “jede große Stadt der Welt beherbergt ihre Elendsviertel, sei es die Favelas von Rio, die Gecekondu von Istanbul oder die Slums von Detroit.” Indem die Künstlerin sich auf diese Randgebiete konzentriert, berührt sie etwas Wesentliches an der zeitgenössischen urbanen Existenz. Ihre Collagen aus unscharfen Dächern rufen alle anderen Elendsviertel der Welt hervor und offenbaren das Vorhandensein einer gemeinsamen Menschlichkeit jenseits kultureller Unterschiede.
Diese universalistische Dimension hindert das Werk nicht daran, tief in seinem spezifischen Kontext verwurzelt zu bleiben. Die Verwendung von Hanji, die ständige Bezugnahme auf die “daldongne” (Mond-Dörfer) am Stadtrand von Seoul und die von koreanischen Sonnenuntergängen inspirierte Farbpalette verankern die Gemälde von Joung Young-Ju fest in einer bestimmten Geografie und Kultur. Es ist genau diese gelungene Verknüpfung von Lokalem und Universellem, die ihrer Arbeit künstlerische Schlagkraft verleiht. Indem sie ihre kleine Ecke Koreas mit unendlicher Sorgfalt malt, gelingt es ihr, etwas Wesentliches über die menschliche Existenz im Allgemeinen auszusagen.
Man muss auch die spirituelle, fast mystische Dimension hervorheben, die aus diesen Werken durchscheint. Joung Young-Ju verbirgt es nicht: Ihre katholische Erziehung hat ihre Weltanschauung nachhaltig geprägt. Ohne im engeren Sinne gläubig zu sein, bewahrt sie aus dieser religiösen Bildung einen unerschütterlichen Glauben an “die Ewigkeit und die Kraft des Geistes”. Diese transzendente Dimension durchzieht ihre Gemälde mit einem besonderen Licht. Ihre nächtlichen Dörfer baden in einer Klarheit, die nicht nur physisch, sondern metaphysisch ist. Man erkennt in ihnen die Spuren einer Suche nach dem Absoluten, die an die schönsten Passagen von Proust über Kunst als Offenbarung einer höheren Wahrheit erinnert.
Diese spirituelle Suche drückt sich auch in der besonderen Vorstellung der Künstlerin vom Unendlichen aus. Im Gegensatz zu den meisten Landschaftsmalern, die ihre Kompositionen klar abgrenzen, lässt Joung Young-Ju ihre Dörfer stets über die Grenzen der Leinwand hinausfließen. “Ich mag es nicht, wenn es ein Ende gibt”, erklärt sie. “Ich möchte, dass die Welt, die ich male, ewig ist, deshalb zeichne ich die Häuser und Lichter selbst in der Ferne.” Diese Ästhetik des Unbegrenzten verwandelt jedes Werk in ein Fragment eines größeren Universums, in ein offenes Fenster zu einem urbanen Kosmos, der sich scheinbar ins Unendliche erstreckt. Der Betrachter wird so eingeladen, die Landschaft mental über die Ränder des Rahmens hinaus fortzusetzen und sich die Fortsetzung dieser Gassen und Dächer bis zu den Grenzen des Horizonts vorzustellen.
Es bleibt zu fragen, wie die Zukunft eines solchen künstlerischen Ansatzes aussieht. In einem Südkorea, das seine urbane Metamorphose abschließt, was wird aus dieser Malerei der Prekarität, wenn die letzten Slums abgerissen sind? Die Künstlerin selbst scheint diese Frage vorausgeahnt zu haben. Ihre jüngsten Werke integrieren immer mehr natürliche Elemente, entlaubte Bäume und entblößte Hügel, die vielleicht eine Entwicklung zu weniger ausschließlich städtischen Landschaften ankündigen. “Ich plane, eine Landschaft zu malen, die die Natur einbezieht, mit der Idee, dass auch die Natur verschwinden wird, so wie meine Heimatstadt gerade verschwindet”, vertraut sie an. Diese Erweiterung des thematischen Registers zeugt von einem ökologischen Bewusstsein, das die Reichweite ihrer künstlerischen Botschaft noch weiter ausdehnt.
Denn genau das macht schließlich die Größe von Joung Young-Ju aus: ihre Fähigkeit, ein scheinbar nebensächliches Thema, das Verschwinden der armen Viertel von Seoul, in eine universelle Meditation über die Zerbrechlichkeit aller menschlichen Dinge zu verwandeln. Ihre Gemälde funktionieren wie urbane Elegien, die die verborgene Schönheit dessen besingen, was unsere Zeit zu zerstören sucht. Damit reihen sie sich in die große Tradition der Kunst als poetischen Widerstand gegen die Herrschaft des reinen Nutzens ein. Sie erinnern uns daran, dass hinter jedem beleuchteten Fenster ein unersetzliches Universum verborgen ist und dass der wahre Reichtum einer Zivilisation an ihrer Fähigkeit gemessen wird, diese bedrohten Universen zu bewahren. In einer Welt, in der die finanzielle Logik alles vereinheitlicht, bildet das Werk von Joung Young-Ju eine Bastion der Einzigartigkeit und Menschlichkeit, die es zu feiern gilt.
- Jean-François Lyotard, Die postmoderne Bedingung. Bericht über das Wissen, Paris, Éditions de Minuit, 1979
- Marcel Proust, Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, Paris, Gallimard, 1913-1927
















