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Die Vögel von Bill Hammond und die Apokalypse

Veröffentlicht am: 18 März 2025

Von: Hervé Lancelin

Kategorie: Kunstkritik

Lesezeit: 8 Minuten

Die Vögel von Bill Hammond verfolgen uns mit anklagenden Blicken. Diese halb menschlichen, halb geflügelten Kreaturen, elegant und beunruhigend, sind die Wächter einer verlorenen Welt. Hammond war ein Archäologe des kollektiven Gedächtnisses, der die Umwelt- und Kolonialängste unserer Zeit ausbuddelte.

Hört mir gut zu, ihr Snobs. Die Vögel von Bill Hammond spuken uns mit ihren anklagenden Blicken heim. Sie starren uns von ihren steilen Klippen aus an, als wüssten sie etwas, das wir noch nicht wissen. Diese halb menschlichen, halb vogelartigen Wesen, elegant und beunruhigend mit ihren vogelköpfigen Schauplätzen auf schlanken Körpern, sind die Wächter einer Welt, die wir bereits verloren haben. Sie sind das Gewissen eines gescheiterten Paradieses, jenes Aotearoa (der Maori-Name für Neuseeland) vor der Ankunft der Menschen, als die Vögel absolute Herrscher dieses insularen Edens waren.

Hammond war nicht nur ein Künstler, er war ein Archäologe des kollektiven Gedächtnisses, ein Ausgräber zeitgenössischer Ängste. Seine Malerei ist eine gnadenlose Röntgenaufnahme unserer umweltbezogenen und kolonialen Schuld. Mit einer visuellen Schärfe, die schmerzt, zeigt er uns unser eigenes verzerrtes Spiegelbild in den Augen der Kreaturen, die wir massakriert oder an den Rand gedrängt haben.

In seinem emblematischen Gemälde “Waiting for Buller” (1993) stehen die Vogel-Menschen regungslos da, eingefroren in der Erwartung ihres Peinigers, Walter Buller, jenes neuseeländischen Ornithologen, der die Vögel sorgfältig dokumentierte und gleichzeitig bis zur Ausrottung jagte. Ist das nicht eine perfekte Metapher für unsere aktuelle ökologische Schizophrenie? Wir studieren, bewundern, schützen… und zerstören gleichzeitig. Wie der Philosoph Michel Serres in “Le Contrat Naturel” schrieb: “Wir lieben das, was wir töten, wir töten das, was wir lieben” [1]. Diese zerstörerische Dualität liegt im Zentrum von Hammonds Werk.

Die visuelle Einzigartigkeit von Hammond beruht auf dieser ständigen Spannung zwischen Schönheit und Unbehagen. Seine Gemälde sind visuell prächtig, dieses smaragdgrün, das von innen heraus zu leuchten scheint, dieses Gold, das das Licht wie byzantinische Ikonen einfängt, diese kühnen Kompositionen, die jede konventionelle Perspektive herausfordern. Aber diese visuelle Pracht ist nur eine Falle für unseren Blick. Sie zieht uns hinein, um uns besser mit dem unheimlichen Fremdsein dieser Szenen zu konfrontieren.

Der Künstler wusste genau, wie man die Codes der traditionellen Malerei manipuliert, um sie besser zu unterlaufen. In “The Fall of Icarus” (1995) greift er das klassische Thema des Falls von Ikarus auf, interpretiert es aber neu in einer neuseeländischen Landschaft, in der Vogel-Menschen regungslos den Sturz dieses künstlichen geflügelten Eindringlings beobachten. Die Hybridität seiner Kreaturen spiegelt diese grundlegende Ambivalenz wider: Wir sind weder vollständig von der Natur getrennt noch vollkommen im Einklang mit ihr.

Diese Vogelmenschen sind nicht nur fantastische Figuren, die aus der grenzenlosen Vorstellungskraft eines Künstlers entsprungen sind. Sie sind die Geister einer vergangenen Zeit und die Propheten einer ungewissen Zukunft. Sie tragen die Erinnerung an eine Zeit in sich, als Neuseeland “birdland” war, wie Hammond selbst nach seiner transformierenden Reise zu den Auckland-Inseln im Jahr 1989 sagte. Diese Erfahrung eines fast unberührten Ortes war für ihn eine Offenbarung, die sein Werk radikal verändern sollte.

Denn es gibt definitiv ein Vorher und Nachher in Hammonds künstlerischem Werdegang. Seine Werke aus den 1980er Jahren, gesättigt mit Anspielungen auf Popkultur, Rockmusik und den frenetischen Konsumismus, zeugen von einer ganz anderen Sensibilität. In “Animal Vegetable Acrylic” (1988) zeigte er uns ein Yuppie-Paar in ihrem designorientierten Zuhause, völlig voneinander und der durch das Fenster sichtbaren natürlichen Welt entfremdet. Die Gesellschaftskritik war dort scharf, der Humor beißend.

Aber selbst in diesen Jugendwerken ist bereits die scharfsichtige Vision eines Künstlers zu erkennen, der Konventionen ablehnt, Perspektiven verzerrt und Maßstäbe und Bezüge vermischt. Hammond war in der neuseeländischen Kunstszene immer ein Außenseiter, der einfachen Etiketten und bequemen Zugehörigkeiten widerstand. Er war, wie Justin Paton treffend bemerkte, “der Jérôme Bosch von Lyttelton”, der sein eigenes visuelles Universum erschuf, das sowohl vertraut als auch zutiefst fremd ist.

Die soziologische Dimension von Hammonds Werk ist unverzichtbar, besonders in seinen Vogelbildern. Dort seziert er die komplexen Beziehungen zwischen Māori, europäischen Siedlern und der Natur. Wie der Anthropologe Claude Lévi-Strauss in “Das wilde Denken” erklärt, “werden Tierarten nicht ausgewählt, weil sie ,gut zu essen’ sind, sondern weil sie ,gut zu denken’ sind” [2]. Und genau das tut Hammond mit seinen Vögeln: Sie sind Werkzeuge, um über unser Verhältnis zur Welt, zur Natur, zum Anderen nachzudenken.

Dieses visuelle Denken entfaltet sich in Werken wie “Bone Yard Open Home” (2009), einem weiten Panorama, in dem sich seine gefiederten Kreaturen in riesigen Vulkanhöhlen versammeln. Die Anspielung auf die Höhlenkunst ist offensichtlich, als wolle Hammond seine Sichtweise in die lange Dauer der Menschheit einschreiben, in jenen ursprünglichen Moment, als der Mensch begann, seine Umwelt darzustellen. Aber im Gegensatz zu prähistorischen Höhlenmalereien, die oft die Jagd und menschliche Herrschaft über das Tier feierten, kehrt Hammond die Perspektive um: Die Vögel sind die Herrscher, die Wächter eines uralten Wissens, das wir verloren haben.

Einige späte Werke, wie die Serie “Wishbone Ash” (2010-2011), bringen große verzierte Urnen ins Bild, aus denen Rauch aufsteigt und mysteriöse Rituale oder vielleicht Opfer andeutet. Diese zeremoniellen Elemente verstärken die mythologische Dimension seines Werks. Hammond malt nicht nur Bilder, er schafft ein Pantheon, eine Kosmogonie, eine persönliche Mythologie, die mit unseren zeitgenössischen Mythen von Fortschritt und Herrschaft in Dialog tritt.

Der Einfluss japanischer Druckgrafik und chinesischer Malerei ist in seinem reifen Werk spürbar. Die fließenden Linien, die abgeflachten Perspektiven, die kühnen Kompositionen, die mit der westlichen Perspektive brechen, zeugen alle von einer tiefen Affinität zu asiatischen Bildtraditionen. Doch Hammond ist kein Nachahmer; er absorbiert diese Einflüsse und verwandelt sie zum Dienst seiner persönlichen Vision.

Diese Vision wird auch von der Literatur genährt. Man kann nicht anders, als an den Schriftsteller J.G. Ballard zu denken, wenn man einige Gemälde von Hammond betrachtet. In “Der Kristallwald” beschreibt Ballard eine Welt, in der die Natur sich allmählich kristallisiert und Zeit und Raum in einer fatalen Unbeweglichkeit einfriert. “Der Prozess schien Knotenpunkte in der Zeit berührt zu haben, die Vergangenheit und Zukunft kristallisierten sich um sie herum”, schreibt er [3]. Dasselbe Gefühl von angehaltenem Zeitpunkt, von Kristallisation eines kritischen Moments, wohnt den Gemälden von Hammond inne. Seine Vögel scheinen eingefroren in der Erwartung einer Katastrophe, die bereits stattgefunden hat.

Die Zeit ist bei Hammond nicht linear, sondern zyklisch oder besser noch, simultan. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft koexistieren im selben malerischen Raum. Die Vögel in “Traffic Cop Bay” (2003) bewohnen eine Landschaft, die gleichzeitig primordial und zeitgenössisch ist, als hätten sich die zeitlichen Schichten ineinander aufgelöst. Diese Auffassung von Zeit erinnert an das, was der Schriftsteller J.G. Ballard als “eine ewige Gegenwart, in der alle Handlungen gleichzeitig sind” [4] beschrieb. In dieser paradoxen Zeitlichkeit verwischt die Unterscheidung zwischen vor und nach der Kolonisierung, zwischen unberührter und verschmutzter Natur, um einer scharfen Bewusstheit der Fragilität jeglichen Gleichgewichts Platz zu machen.

Was in Hammonds Werk beeindruckt, ist auch seine Fähigkeit, eine tiefe emotionale Resonanz zu erzeugen, ohne auf Pathos oder einfachen Moralistismus zurückzugreifen. Er sagt uns nicht, was wir denken sollen, sondern stellt uns einer Vision gegenüber und lässt uns frei, darauf zu reagieren. Gerade diese Mehrdeutigkeit macht die Stärke seiner Arbeit aus. Seine Gemälde sind Spiegel, die unseren eigenen Blick, unser eigenes Hinterfragen unserer Stellung in der Welt reflektieren.

Hammond war ein zutiefst neuseeländischer Künstler, verankert in der spezifischen Geschichte und Geographie seines Landes. Doch sein Werk übersteigt diesen besonderen Kontext, um eine universelle Dimension zu erreichen. Denn die Fragen, die er aufwirft, unser Verhältnis zur Natur, die Folgen der Kolonisierung, der Verlust der Biodiversität, die Gewalt der “Zivilisation”, betreffen die gesamte Menschheit.

Er war auch, vergessen wir das nicht, ein Musiker, ein Schlagzeuger. Das ist nicht zufällig. Rhythmus, Takt und Synkope sind in seiner Malerei präsent. Seine visuellen Kompositionen haben etwas Musikalisches in ihrem Gleichgewicht zwischen Wiederholung und Variation, zwischen Spannung und Auflösung. Musik war für ihn, wie die Malerei, ein Weg, das Unaussprechliche auszudrücken, Formen für Emotionen und Wahrnehmungen zu finden, die der rationalen Sprache entgleiten.

Aber Hammond war kein naiver Romantiker, der von einer unmöglichen Rückkehr zu einer paradiesischen Natur träumte. Sein Blick war dafür zu klar und scharf. Er wusste, dass wir in einer von menschlichem Handeln unwiderruflich veränderten Welt leben. Seine Gemälde sind keine nostalgischen Appelle an eine idealisierte Vergangenheit, sondern Meditationen über unsere gegenwärtige Situation, darüber, was es bedeutet, Mensch zu sein in einer Welt, die wir so verändert haben, dass sie unkenntlich geworden ist.

Die ökologische Dimension seines Werkes ist eingebettet in das, was der Philosoph Timothy Morton “dunkle Ökologie” (dark ecology) nennt, ein ökologisches Denken, das auf romantische Fantasien verzichtet, um sich der beunruhigenden Realität unserer Verwobenheit mit der Natur zu stellen [5]. Hammond bietet uns keine einfachen Lösungen, keinen Zufluchtsort in einer idealisierten Natur. Er zeigt uns vielmehr eine ambivalente, von Gespenstern durchzogene Welt, in der Natur und Kultur, Menschliches und Nicht-Menschliches, Vergangenheit und Gegenwart untrennbar miteinander verflochten sind.

In dieser Perspektive können seine Gemälde als Denkmäler zur Erinnerung an eine vergangene Welt betrachtet werden, aber auch als Warnungen, Alarmsignale. Sie erinnern uns daran, dass andere Lebensformen uns auf dieser Erde vorausgegangen sind und uns wahrscheinlich überdauern werden. Der Mensch ist nur eine Episode in der Geschichte des Planeten, eine Episode, die vielleicht kurz bleiben wird, wenn wir in unserem Blindsein verharren.

Hammonds Genie besteht darin, diese philosophischen und ökologischen Überlegungen in Bilder von unvergesslicher visueller Kraft zu übersetzen. Er theorisiert nicht, er zeigt. Und das, was er uns zeigt, ist zugleich großartig und schrecklich, wie die darin enthaltene Wahrheit.

Also ja, ihr Snobs, Bill Hammond war einer der großen Maler unserer Zeit, ein Visionär, der es verstand, eine persönliche Mythologie zu schaffen, um die Angst und die Schönheit unserer Epoche auszudrücken. Seine Vogel-Menschen werden uns noch lange mit ihren undurchdringlichen Augen beobachten, stille Zeugen unseres Daseins auf der Erde.


  1. Serres, Michel. “Der natürliche Vertrag”. Éditions François Bourin, 1990.
  2. Lévi-Strauss, Claude. “Das wilde Denken”. Plon, 1962.
  3. Ballard, J.G. “Der Kristallwald”. Übersetzt von Michel Pagel, Denoël, 1967.
  4. Ballard, J.G. “Die versunkene Welt”. Übersetzt von Michel Pagel, Denoël, 1964.
  5. Morton, Timothy. “Dunkle Ökologie: Für eine Logik des zukünftigen Zusammenlebens”. Columbia University Press, 2016.
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Referenz(en)

Bill HAMMOND (1947-2021)
Vorname: Bill
Nachname: HAMMOND
Geschlecht: Männlich
Staatsangehörigkeit(en):

  • Neuseeland

Alter: 74 Jahre alt (2021)

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