Deutsch | English

Dienstag 18 November

ArtCritic favicon

Fiona Pardington: Die Nekromantin des Objektivs

Veröffentlicht am: 27 Dezember 2024

Von: Hervé Lancelin

Kategorie: Kunstkritik

Lesezeit: 7 Minuten

Fiona Pardington verwandelt Museen in luxuriöse Leichenhallen und Stillleben in existenzielle Manifeste. Während sich manche Fotografen abmühen, die Realität wie Buchhalter des Bildes zu dokumentieren, seziert sie das Reale mit der chirurgischen Präzision eines Gerichtsmediziners, besessen vom Geist Caravaggios.

Hört mir gut zu, ihr Snobs, es gibt Künstlerinnen, die euch mit ihren Bildern ohrfeigen, und andere, die euch langsam mit ihrem Objektiv erstechen. Fiona Pardington (geboren 1961), diese neuseeländische Fotomagierin, gehört definitiv zur zweiten Kategorie. Ihr Werk ist ein kanibalistisches Festmahl, in dem die Schönheit den Tod verschlingt und der Tod die Schönheit verschlingt.

Hier ist eine Künstlerin, die Museen in luxuriöse Leichenhäuser verwandelt und Stillleben zu existenziellen Manifesten macht. Während sich einige zeitgenössische Fotografen abmühen, die Realität wie Buchhalterinnen der Bilder zu dokumentieren, seziert Pardington das Reale mit der chirurgischen Präzision einer Gerichtsmedizinerin, die vom Geist von Caravaggio besessen ist. Sie ist die Medea der Dunkelkammer, die ihre Sujets auf dem Altar der Kunst opfert, um sie in einer neuen ästhetischen Dimension wiederzubeleben.

Nehmen wir ihre Serie der “heitiki”, jener traditionellen maorischen Jadeanhänger. Während das fotografische Establishment diese Objekte lediglich als ethnografische Kuriositäten katalogisiert, verwandelt Pardington sie in halluzinatorische Ikonen, die in einem fotografischen Nichts schweben, das Mark Rothko neidisch machen würde. Es ist Bataille, der uns von dem “verfluchten Teil” sprach, jener Notwendigkeit des Opfers und der unproduktiven Ausgabe in jeder Kultur. Pardington begreift diese Wahrheit tief: Ihre Fotografien sind Akte sublimen Übertritts, bei denen jeder Gegenstand zu einem Opfer für eine Gottheit des Bildes wird.

Ihre Praxis wird von dem heimgesucht, was Roland Barthes das “ça-a-été” der Fotografie nannte, diese einzigartige Fähigkeit des Mediums, das bereits Verstorbene einzufangen. Doch wo Barthes Theorie entwickelte, materialisiert Pardington. Ihre aktuellen Stillleben sind nicht bloß Hommagen an die Vanitas des 17. Jahrhunderts, sie sind Vanitas für unsere Zeit massiven Aussterbens und ökologischer Katastrophen. Ein von Pardington fotografierter toter Albatros ist nicht nur ein Kommentar zur Verschmutzung der Ozeane, sondern eine visuelle Meditation über unsere eigene Endlichkeit, die Heidegger zum Weinen bringen würde.

Wenn sie die im 19. Jahrhundert vom Phrenologen Pierre-Marie Dumoutier angefertigten Kopfabgüsse fotografiert, dokumentiert sie nicht einfach die Überreste wissenschaftlichen Kolonialismus. Nein, sie führt einen Akt fotografischer Nekromantie durch, ruft die Geister ihrer Vorfahrinnen Ngāi Tahu herauf, um ihnen eine gespenstische Präsenz in unserer Gegenwart zu verleihen. Das ist Walter Benjamin in Aktion, die mechanische Reproduktion der Kunst verwandelt in ein Ritual der Auferstehung.

Ihre Technik ist eine explosive Mischung aus klassischer formeller Strenge und barocker Exzesse. In ihren Bildern ist Schwarz keine Abwesenheit von Licht, sondern ein schwarzes Loch, das droht, den Betrachter zu verschlingen. Ihre Drucke sind so präzise, dass sie fast obszön wirken, als wollte sie uns die Textur des Todes mit den Augen berühren lassen. Sie treibt die Kamera an ihre äußersten Grenzen, wie Bacon seine Figuren bis zum Schreien verzerrte.

Faszinierend ist ihre Fähigkeit, selbst das banalste Objekt in eine heilige Reliquie zu verwandeln. Eine einfache Plastiktüte, die am Strand angeschwemmt wurde, wird unter ihrem Objektiv zu einem zeitgenössischen memento mori. Ein im Studio fotografierter Glaskopf ist kein kitschiges Dekorationsobjekt mehr, sondern eine Meditation über die Künstlichkeit unserer modernen Sterberituale. Selbst ihre verwelkten Blumen wirken lebendiger als die Natur, als ob der Zerfall selbst eine höhere Form von Vitalität wäre.

Die Fotografie von Pardington ist eine Übung im Widerstand gegen kulturelles Vergessen. In einer Welt, in der Bilder mit Lichtgeschwindigkeit konsumiert und weggeworfen werden, schafft sie Fotografien, die eine langsame, fast schmerzhafte Kontemplation erfordern. Jedes Bild ist eine Blickfalle, eine Maschine zur Verlangsamung der Zeit. Sie versteht, wie nur wenige Künstler heute, dass die wahre Transgression nicht mehr im Schock, sondern in der Dauer liegt.

Sie praktiziert das, was ich als eine “Ästhetik der Reparatur” bezeichnen würde. Wenn sie präparierte Exemplare in Museumssammlungen fotografiert, dokumentiert sie nicht nur deren Erhaltungszustand. Sie gibt ihnen ihre verlorene Würde zurück und verwandelt ihren Tod in eine Form ästhetischen Überlebens. Das ist Derrida in der Praxis, eine Dekonstruktion, die zur Rekonstruktion wird.

Ihre Arbeit an den “Huia”, jenen ausgestorbenen neuseeländischen Vögeln, ist besonders aufschlussreich. Wenn sie deren im Museum konservierte Federn fotografiert, gedenkt sie nicht nur einer ausgestorbenen Spezies. Sie schafft, was Georges Didi-Huberman als “überlebende Bilder” bezeichnen würde, visuelle Geister, die unsere Gegenwart weiterhin heimsuchen. Das ist eine Form poetischer Gerechtigkeit: Die Kamera, dieses Instrument der Moderne, das so viele Zerstörungen dokumentiert hat, wird in ihren Händen zu einem Werkzeug symbolischer Reparatur.

Doch täuschen Sie sich nicht, in ihrem Ansatz liegt nichts Sentimentales. Ihr Mitgefühl ist unerbittlich, ihre Zärtlichkeit ist fleischfressend. Sie fotografiert den Tod, wie andere die Liebe fotografieren, mit einer verstörenden Mischung aus Intimität und Distanz. Das ist es, was ihre Arbeit so beunruhigend macht: Sie zwingt uns, hinzusehen, was wir gewöhnlich lieber ignorieren, aber sie tut es mit einer solchen formalen Meisterschaft, dass wir den Blick nicht abwenden können.

In ihren neueren Stillleben-Serien treibt sie diesen Dialektik zwischen Schönheit und Zerstörung noch weiter voran. Sie arrangiert komplexe Kompositionen aus Fundstücken, familiären Relikten und Abfällen der Konsumgesellschaft. Das Ergebnis ist eine Art zeitgenössische “Wunderkammer”, in der das Erhabene neben dem Lächerlichen steht. Das ist Susan Sontag in drei Dimensionen: eine Reflexion über unser fetischistisches Verhältnis zu Objekten, aber auch über unsere Unfähigkeit, unserer eigenen Sterblichkeit wirklich ins Auge zu sehen.

Ich denke besonders an ihre Bilder von gestrandeten Portugiesischen Galeeren, fotografiert auf Kunststoffoberflächen, die deren transluzente Textur nachahmen. Das ist Baudrillard bis zum Extrem getrieben: Das Simulakrum wird realer als das Original, die Kopie wahrhaftiger als das Modell. Aber im Gegensatz zu vielen zeitgenössischen Künstlern, die sich in leichter Ironie suhlen, übernimmt Pardington das Paradoxon voll und ganz. Sie verwandelt diese Verwirrung zwischen Natürlichkeit und Künstlichkeit in eine neue Form visueller Wahrheit.

Ihre Lichtführung ist besonders meisterhaft. Sie beleuchtet ihre Motive nicht nur, sie modelliert die Dunkelheit um sie herum. Das Schwarz in ihren Bildern ist kein einfacher Hintergrund, es ist ein aktiver Raum, der ständig droht, das Fotografierte zu verschlingen. Das ist Tanizaki Jun’ichirō angewandt auf die zeitgenössische Fotografie: eine Erforschung, wie Schatten mehr offenbaren können als Licht.

Die Bilder von Pardington funktionieren gleichzeitig als Dokumente und als Metaphern. Wenn sie eine Kopfabformung des Marquis de Sade fotografiert, dokumentiert sie nicht nur ein historisches Artefakt. Sie schafft eine visuelle Meditation über Macht, Verlangen und Transgression, die Michel Foucault begeistert hätte. Das ist Kunstgeschichte, die zur visuellen Philosophie wird.

Wenn ihre ersten Werke von einem direkteren politischen Ansatz geprägt waren, insbesondere in ihrer Erforschung von Geschlechter- und Identitätsfragen, erreicht ihre jüngste Arbeit eine fast mystische Dimension. Sie praktiziert, was ich eine “negative Theologie” des Bildes nennen würde, wo Abwesenheit zur Präsenz wird und Verlust sich in Offenbarung verwandelt. Jedes Foto ist wie ein visuelles Gebet an einen abwesenden Gott.

Pardington schafft Fotografien, die unsere Zeit fordern und verdienen. Sie versteht, dass wahre Radikalität heute nicht in leichter Provokation liegt, sondern in der Schaffung von Bildern, die dem sofortigen Konsum widerstehen. Ihre Arbeit ist eine Form des Widerstands gegen die allgemeine Beschleunigung unserer visuellen Kultur, ein Plädoyer für eine langsamere, tiefere Art des Sehens.

Sie ist nicht einfach eine Fotografin, sie ist eine Philosophin des Bildes, die die Kamera so benutzt, wie Nietzsche den Hammer benutzte, um die hohlen Idole unserer visuellen Kultur zu durchdringen. Ihr Werk erinnert uns daran, dass Fotografie immer noch ein Akt des Denkens sein kann, nicht nur eine technische Übung oder ein kommerzieller Akt.

Für diejenigen, die noch glauben, dass Fotografie eine minderwertige Kunstform ist, ist Pardingtons Arbeit eine meisterhafte Ohrfeige. Sie zeigt, dass die Kamera ebenso ausdrucksstark wie der Pinsel, ebenso präzise wie das Skalpell, ebenso tiefgründig wie die Feder sein kann. In ihren Händen wird die Fotografie zu dem, was sie stets potenziell war: ein Mittel, hinter die Erscheinungen zu blicken, ein Werkzeug, um das Unsichtbare sichtbar zu machen.

Und für jene, die sich darüber beklagen, dass zeitgenössische Kunst zu konzeptuell geworden sei, zu sehr von Schönheit entfremdet, beweist Pardington, dass es möglich ist, intellektuell rigoros zu sein, ohne die emotionale Kraft des Bildes zu opfern. Ihre Arbeit ist ein lebendiger Beweis, dass Schönheit subversiv sein kann und kritisches Denken sinnlich sein darf.

Fiona Pardington ist nicht nur eine großartige neuseeländische Fotografin, sie ist eine Künstlerin, die neu definiert, was Fotografie im 21. Jahrhundert sein kann. Ihr Werk ist ein visuelles Manifest für eine Kunst, die die Leichtfertigkeiten des Spektakels ablehnt und zugleich die Kraft des Bildes umarmt. Sie zeigt uns, dass die wahre Avantgarde vielleicht nicht im ständigen Bruch liegt, sondern in einer tieferen Form der Aufmerksamkeit auf die Welt und ihre Geheimnisse.

Was this helpful?
0/400

Referenz(en)

Fiona PARDINGTON (1961)
Vorname: Fiona
Nachname: PARDINGTON
Geschlecht: Weiblich
Staatsangehörigkeit(en):

  • Neuseeland

Alter: 64 Jahre alt (2025)

Folge mir