Hört mir gut zu, ihr Snobs: Herbert Brandl ist kein Maler, den man versteht, indem man schläfrig in Ausstellungskatalogen blättert zwischen zwei Champagnergläsern. Der 1959 in Graz geborene und diesen Sommer früh verstorbene Österreicher stellt eine direkte, sogar brutale Auseinandersetzung mit der malerischen Materie und ihren unendlichen Bedeutungsmöglichkeiten dar. Seine monumentalen Leinwände, die ständig zwischen Abstraktion und Figuration schwanken, entfalten eine visuelle Sprache, die kategorisch die Bequemlichkeiten der zeitgenössischen dekorativen Kunst ablehnt.
Brandl gehört zu jener Generation österreichischer Künstler, die in den 1980er Jahren zur großen Wiener malerischen Tradition zurückkehrten und sich gleichzeitig von den modernistischen Dogmen befreiten. Ausgebildet an der Universität für angewandte Kunst Wien unter der Leitung von Herbert Tasquil und Peter Weibel, entwickelte er von Anfang an einen eigenständigen Ansatz der Malerei, indem er sie nicht als bloßes Ausdrucksmedium betrachtet, sondern als Gebiet konzeptueller Erforschung. Seine frühe Teilnahme an großen internationalen Veranstaltungen, der Biennale von Paris 1985, der Documenta IX 1992 und die Vertretung Österreichs in Venedig 2007, zeugen von einer sofortigen Anerkennung der Relevanz seines Vorgehens.
Die Architektur der Emotion
Der erste Schlüssel zum Verständnis von Brandls Werk liegt in seiner komplexen Beziehung zum architektonischen und dekorativen Erbe der Wiener Secession. Wie Pier Luigi Tazzi zutreffend beobachtete, beziehen sich seine jüngsten Werke “noch immer auf die Secession” und sind geprägt von “dem Privileg, das den Flächen der Gemälde eingeräumt wird” [1]. Diese Zugehörigkeit ist nicht nebensächlich: Sie offenbart eine Auffassung von Malerei als räumliche Konstruktion, als Gebäude von Empfindungen und nicht nur als einfache Auflagefläche.
Die Architektur des Wiener Fin de Siècle, verkörpert durch Otto Wagner und seine Schüler, suchte die moderne Funktionalität mit ornamentaler Schönheit zu versöhnen. Brandl vollzieht eine ähnliche Übertragung im malerischen Bereich: Seine abstraktesten Kompositionen behalten eine funktionale Dimension, nämlich jene, emotionale bewohnbare Räume zu schaffen. Seine Berge des Großglockners oder seine Himalaya-Landschaften sind niemals bloße Darstellungen; sie bilden Farb- und Gestaltungsarchitekturen, mentale Räume, die der Betrachter physisch einnehmen kann.
Diese architektonische Dimension zeigt sich besonders in seiner Auffassung der Serie. Brandl malt niemals ein isoliertes Bild, sondern konstruiert zusammenhängende Einheiten, vollständige visuelle “Habitats”. Seine Monotypenzyklen der 2020er Jahre, präsentiert in der Ausstellung “24/7” in Graz, funktionieren als unterschiedliche Teile eines einzigen konzeptuellen Bauwerks. Jedes Werk steht im Dialog mit den anderen und schafft ein Ganzes, das die Ambition eines Architekten Wagner auf das Gebiet der reinen Malerei überträgt.
Die Farbe bei Brandl funktioniert nach denselben Prinzipien wie das Ornament bei den Meistern der Secession: Sie strukturiert den Raum ebenso sehr, wie sie ihn kleidet. Seine kristallinen Blautöne oder seine glühenden Rottöne beschränken sich nicht darauf, die Oberfläche zu kolorieren; sie organisieren die Wahrnehmung, hierarchisieren die Ebenen, schaffen visuelle Rhythmen, vergleichbar mit den rhythmischen Modulationen einer Fassade von Wagner. Dieser Ansatz offenbart ein tiefes Verständnis des Raums als sinnliche Gesamtheit, die direkt aus der Wiener Tradition der Jahrhundertwende stammt.
Der Künstler setzt auch die secessionistische Fragestellung zur Beziehung zwischen Kunst und Industrie fort. Seine Mischtechniken, die Fotografie und traditionelle Malerei integrieren, hinterfragen die Grenzen zwischen handwerklicher Produktion und mechanisierter Reproduktion. Wie die Architekten um 1900 die neuen industriellen Materialien in ihre Schöpfungen integrierten, bringt Brandl digitale Bilder und zeitgenössische Reproduktionsverfahren in seine malerische Praxis ein. Diese Synthese offenbart eine authentische Modernität, frei von jeglichem ästhetischen Purismus.
Die Poetik des Prozesses
Die zweite grundlegende Dimension von Brandls Werk betrifft seine Beziehung zur Poesie, nicht als literarisches Genre, sondern als spezifische Wahrnehmungsweise der Wirklichkeit. Der Künstler entwickelt das, was man eine “Poetik des Prozesses” nennen kann, bei der der Akt des Malens über dem Endergebnis steht. Dieser Ansatz verbindet ihn mit den fortschrittlichsten Forschungen der zeitgenössischen Poesie, insbesondere in ihrer performativen Dimension und ihrem Ablehnen der mimetischen Darstellung.
Brandl betont ausdrücklich diese Priorität des Prozesses: “Ich muss den Berg nicht gesehen haben, um ihn zu malen; ich muss nicht vor Ort gewesen sein, um die Luft zu spüren oder das Licht zu sehen. All das geschieht in der Malerei, die Atmosphäre, das Licht, es ist ein innerer Prozess. Ich male meine Bilder aus der Bewegung, dem Pinselstrich, der Größe des Pinsels, der Farbe” [2]. Diese Aussage offenbart ein Verständnis der bildnerischen Schöpfung als autonome Generierung von Bedeutung, unabhängig von jedem direkten äußeren Referenten.
Diese Autonomisierung des kreativen Prozesses erinnert an die Forschungen zeitgenössischer experimenteller Dichter, die an der Materialität der Sprache selbst arbeiten. Wie sie erkundet Brandl die inhärenten Ausdruckspotentiale seines Mediums und offenbart Bedeutungsschichten, die aus der direkten Begegnung mit der malerischen Materie hervorgehen. Seine Pinselbewegungen fungieren als “Wörter” in einem autonomen plastischen Vokabular, schaffen Bedeutungseffekte, die jede ursprüngliche repräsentative Absicht übersteigen.
Der Künstler entwickelt zudem eine spezifische Temporalität, vergleichbar mit poetischer Zeit. Seine Werke erzählen keine lineare Geschichte, sondern entfalten eine intensive Dauer, konzentriert im Moment des malerischen Gestus. Jeder Pinselstrich trägt eine vollständige Temporalität in sich, eine “erweiterte Gegenwart”, die der traditionellen narrativen Chronologie entgeht. Dieses Verständnis der schöpferischen Zeit verbindet Brandl mit poetischen Forschungen zum Moment und zur Epiphanie, dieser plötzlichen Sinnoffenbarung, die aus der direkten Begegnung mit der Sprache hervorgeht.
Die metaphorische Dimension seiner Arbeit funktioniert nach denselben Prinzipien wie die moderne poetische Metapher. Seine skulptierten oder gemalten “Hyänen” stellen keine realen Tiere dar, sondern fungieren als metaphorische Kondensate, als “dialektische Bilder”, die zeitgenössische existentielle Spannungen kristallisieren. Diese hybriden Kreaturen, eine Mischung aus primitivem Wildheit und technischer Raffinesse, rufen die Ambivalenz unseres Verhältnisses zur Natur und zur Zivilisation hervor.
Die Ausstellung “TOMORROW” im Kunsthaus Graz offenbarte besonders diese poetische Dimension des Werks. Der Titel selbst funktioniert wie ein Vers und öffnet einen Raum der semantischen Unbestimmtheit, den die Werke bewohnen, ohne ihn jemals zu sättigen. Brandl beschreibt sich selbst als “leidenschaftlichen Pessimisten”, eine Formulierung, die die dialektische Spannung kennzeichnet, die für die moderne Poesie zwischen kritischer Klarheit und schöpferischem Impuls typisch ist.
Die Ästhetik der Dringlichkeit
Das Werk von Brandl entwickelt das, was man eine “Ästhetik der Dringlichkeit” nennen könnte, die sich besonders in seiner komplexen Beziehung zum Kunstmarkt manifestiert. Auf die Frage nach seinem Verhältnis zur Kunstökonomie erklärte der Künstler sich “zum Feind der Ökonomie” [3] und lehnte die Logik des permanenten Wachstums ab, die er als unvereinbar mit der spezifischen Zeitlichkeit der Schöpfung ansah. Diese Position offenbart ein scharfes Bewusstsein für die Spannungen zwischen künstlerischem Wert und Marktwert, eine Spannung, die seine kreative Praxis direkt nährt.
Diese Dringlichkeit zeigt sich zunächst in seiner Technik. Brandl bevorzugt die Spontaneität des Gestus und lehnt Korrekturen und Bereuungen ab, die häufig die akademische Malerei kennzeichnen. Seine Leinwände bewahren die rohe Spur ihrer Entstehung und offenbaren einen kreativen Prozess, der auf unmittelbaren Ausdruck ausgerichtet ist. Dieser “Zen”-Ansatz, nach seinen eigenen Worten, zielt darauf ab, die reine Energie des schöpferischen Akts einzufangen, bevor die Reflexion sie abschwächt.
Die Dringlichkeit prägt auch seine Beziehung zur zeitgenössischen Welt. Seine “postapokalyptischen” Landschaften gehören nicht zur Science-Fiction, sondern zeugen von einer scharfen ökologischen Klarheit. Brandl erklärt, unter der Umweltzerstörung zu leiden: “Was mich seit jeher beschäftigt, ist das sinnlose Verhältnis zur Umwelt in einer vollständig industrialisierten und kommerzialisierten Welt” [4]. Dieses Leiden speist direkt seine plastische Vorstellungskraft und erzeugt Visionen, die zwischen reiner Schönheit und angekündigter Katastrophe schwanken.
Der Künstler entwickelt eine Ikonographie des Überlebens, die sich durch sein gesamtes Werk zieht. Seine gefertigten Hyänen, seine Bergkristalle und seine trostlosen Landschaften sind so viele “Zeugen” einer sich beschleunigt wandelnden Welt. Diese Ikonographie verfällt niemals in leichten Katastrophismus, sondern hält eine dialektische Spannung zwischen Zerstörung und Regeneration, Tod und Wiedergeburt aufrecht. Die leuchtenden Farben, die seine dunkelsten Kompositionen durchziehen, zeugen von einer unbezwingbaren Vitalität, einer schöpferischen Kraft, die der allgemeinen Entropie widersteht.
Die skulpturale Dimension seiner Arbeit offenbart besonders diese Ästhetik der Dringlichkeit. Seine hybriden Kreaturen entstehen aus einem Prozess ständiger Metamorphose: Die indonesische Katze, die zum Abschaben der Farbe verwendet wird, verwandelt sich allmählich in eine mythologische Kreatur und dann in dauerhaften Bronze. Diese Alchemie offenbart ein Kunstverständnis als Prozess symbolischen Überlebens, als Umwandlung roher Materie in bedeutungsvolle Form, die der Zeit standhalten kann.
Das Erbe eines Meisters
Herbert Brandl hinterlässt ein bedeutendes Werk, das die Möglichkeiten der zeitgenössischen Malerei neu definiert. Seine Lehrtätigkeit an der Akademie Düsseldorf von 2004 bis 2019 hat eine ganze Generation von Künstlern geprägt, die seine Forschungen zur Autonomie des malerischen Gestus fortsetzen. Sein vorzeitiger Tod im Juli 2025 unterbricht abrupt eine kreative Laufbahn, die sich noch in voller Entwicklung befand, wie seine letzten Ausstellungen in Wien und Graz zeigten.
Der Künstler ist die Meisterleistung gelungen, die malerische Tradition mit zeitgenössischer Experimentierfreude zu versöhnen, ohne jemals den einfachen Weg von Pastiche oder billiger Provokation zu beschreiten. Seine Werke bewahren jene “ängstliche Unsicherheit”, die Otto Wagner bereits bei den Künstlern der Secession erkannt hatte, die sich der beschleunigten Modernisierung ihrer Zeit gegenübersahen. Brandl aktualisiert diese Jahrhundertwende-Ängstlichkeit im Kontext der zeitgenössischen Globalisierung und schafft Bilder, die unsere kollektiven Ängste kristallisieren und zugleich Räume reiner Schönheit eröffnen.
Sein Ansatz zur Farbe als “Steigerung der Lebensqualität” offenbart ein humanistisches Kunstverständnis, das die zeitgenössischen ästhetischen Streitigkeiten weit übertrifft. Brandl zeigt, dass die Malerei weiterhin eine einzigartige Fähigkeit besitzt, Bedeutung und Emotion in einer Welt voller digitaler Bilder zu erzeugen. Seine Leinwände fungieren als “Reservoire” sensibler Intensität, als Widerstandsräume gegen die allgemeine Beschleunigung der zeitgenössischen Welt.
Brandls Werk gilt als einer der gelungensten Versuche unserer Zeit, die Grundlagen der Malerei neu zu überdenken. Indem er die sterilen Alternativen zwischen reiner Abstraktion und narrativer Figuration ablehnt, schlägt der Künstler einen Mittelweg ein, der die unerschöpflichen Potenziale des malerischen Mediums enthüllt. Seine Schöpfungen zeugen von einem unerschütterlichen Glauben an die Fähigkeit der Kunst, unser Verhältnis zur Welt zu transformieren, nicht durch die Illustration vorgefasster Thesen, sondern durch die unmittelbare Erzeugung bislang unbekannter sinnlicher Erfahrungen.
Das Erbe von Herbert Brandl liegt in diesem meisterhaften Beweis, dass die Malerei ein unendliches Erkundungsgebiet bleibt, fähig, Wissensformen zu generieren, die anderen Ausdrucksformen unzugänglich sind. Sein Werk ist ein leidenschaftliches Plädoyer für die Autonomie der Kunst und deren Fähigkeit, verborgene Dimensionen der Wirklichkeit zu offenbaren. In einer Welt, die von Effizienz und sofortiger Rentabilität besessen ist, erinnert Brandl daran, dass manche Wahrheiten nur durch kontemplative Langsamkeit und Aufmerksamkeit für die subtilsten Nuancen der sinnlichen Wahrnehmung offenbart werden.
- Pier Luigi Tazzi, “Herbert Brandl”, Artforum, Kritik anlässlich der Ausstellung in der Galerie Krinzinger, Wien, 1990.
- Herbert Brandl, Zitat entnommen von der Website der Galerie nächst St. Stephan Rosemarie Schwarzwälder, Wien.
- Herbert Brandl, Gespräch mit Sandra Baierl, “Herbert Brandl, der Wirtschaftsfeind”, Kurier, 5. Dezember 2013.
- Herbert Brandl, Gespräch mit Susanne Rakowitz, “Es war wie eine Lähmung über allem”, Kleine Zeitung, 2021.
















