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Hiroshi Sugimoto: Der Meister der Zeit

Veröffentlicht am: 12 Februar 2025

Von: Hervé Lancelin

Kategorie: Kunstkritik

Lesezeit: 7 Minuten

Bewaffnet mit seiner großformatigen Kamera wie mit einem Zauberstab lässt Hiroshi Sugimoto uns die zeitlichen Dimensionen mit der Eleganz eines Zen-Meisters und der Strenge eines Quantenphysikers durchqueren. Sein Hauptkünstlerisches Anliegen? Die Essenz der Zeit selbst einzufangen.

Hört mir gut zu, ihr Snobs, Hiroshi Sugimoto ist nicht einfach ein Fotograf, er ist ein Zauberer der Zeit. Seit über fünfzig Jahren verwandelt dieser japanische Alchemist die Realität in Illusion und die Illusion in Realität mit chirurgischer Präzision, die einen Pariser Neurochirurgen erblassen lassen würde. In einer Welt, in der jeder eilig ist, den Moment mit seinem Smartphone zu verewigen, geht Sugimoto radikal gegen diesen digitalen Rausch an, indem er Bilder schafft, die unsere gewöhnliche Wahrnehmung der Zeit transzendieren.

Sugimoto verwendet eine großformatige 8×10-Kamera im Stil des 19. Jahrhunderts, Schwarzweißfilm und extrem lange Belichtungszeiten. Ausgerüstet mit dieser Großformatkamera wie mit einem Zauberstab lässt uns Sugimoto die zeitlichen Dimensionen mit der Eleganz eines Zen-Meisters und der Strenge eines Quantenphysikers durchqueren. Sein Hauptziel als Künstler? Die Essenz der Zeit einzufangen, jenes schwer fassbare Konzept, das den Geist von Bergson in seinem Hauptwerk “L’Évolution créatrice” gequält hat. Wie der französische Philosoph, der reine Dauer als unteilbare Kontinuität sah, komprimiert und dehnt Sugimoto die Zeit in seinen Bildern mit einer Meisterschaft, die das Verständnis herausfordert. Er fotografiert nicht nur Momente, sondern fängt Zeiten, ganze Epochen ein, manchmal sogar die Ewigkeit selbst.

Nehmen Sie seine Serie “Theaters”, ein Konzept, das so kühn ist, dass es beinahe unverschämt wirkt. Einen ganzen Film in einer einzigen Belichtung zu fotografieren? Nur ein so brillant verschrobener Geist wie der von Sugimoto konnte auf eine solche Idee kommen. Das Ergebnis? Leuchtende Bildschirme, die wie Portale zu einer anderen Dimension strahlen, umgeben von prachtvoller Theaterarchitektur, die in einem zeitlichen Zwischenreich zu schweben scheint. Diese Bilder erinnern an Platons Höhle, in der die Zuschauer, an ihre Sitze gekettet, nur die Schatten der Realität an den Wänden sehen. Aber Sugimoto geht noch weiter, er fängt das Wesen unserer Beziehung zur Zeit und zum bewegten Bild ein.

In “UA Playhouse, New York” (1978) wird die leuchtende Leinwand zu einer künstlichen Sonne, die die Art-déco-Architektur in ein gespenstisches Licht taucht. Die goldenen Ornamente und die komplexen Stuckverzierungen treten aus der Dunkelheit hervor wie die Überreste einer verlorenen Zivilisation. Die Zeit selbst scheint aufgehoben, eingefroren in einer fotografischen Ewigkeit, die unser übliches Verständnis von Dauer herausfordert. Jedes Bild dieser Serie ist eine visuelle Meditation über die Natur des Kinos, diese Kunst, die durch unbewegte Bilder die Illusion von Bewegung schafft.

Seine “Seascapes” stellen vielleicht den Höhepunkt seiner Reflexion über die Zeit dar. Diese Meereslandschaften von absoluter Reinheit reduzieren unsere Welt auf ihren einfachsten Ausdruck: eine Linie zwischen Himmel und Meer. Es ist, als hätte Sugimoto einen Weg gefunden, Sartres Nichts zu fotografieren, jene existentielle Leere, die uns gleichzeitig erschreckt und fasziniert. Diese Bilder sind von täuschender Einfachheit und erinnern uns daran, dass wir nur Sandkörner am Strand der Ewigkeit sind, flüchtige Zuschauer vor der Unermesslichkeit der Zeit.

Nehmen Sie “Bass Strait, Table Cape” (1997), ein Bild, das das Meer vor Tasmanien in seiner erhabenen Strenge einfängt. Die Horizontlinie, von mathematischer Präzision, teilt das Bild in zwei Zonen subtil unterschiedlicher Grautöne. Himmel und Wasser verschmelzen fast und schaffen eine Abstraktion, die uns über die bloße Meereslandschaft hinausführt. Dieses Bild könnte vor tausend Jahren oder in tausend Jahren aufgenommen worden sein; es existiert außerhalb der Zeit, in einer Dimension, in der Sekunden keine Rolle mehr spielen.

Sugimotos technische Meisterschaft ist schlichtweg überwältigend. Seine verlängerten Belichtungszeiten, manchmal mehrere Stunden, verwandeln seine Negative in wahre Zeitkapseln. Er behandelt das Licht wie ein Renaissance-Maler seine Pigmente, mit manischer Präzision, die an Obsession grenzt. Doch gerade diese Obsession verleiht seiner Arbeit ihre philosophische Tiefe. Jedes Bild ist das Ergebnis monastischer Geduld und absoluter Konzentration, die an zen-meditative Praktiken erinnert.

In seiner Serie “Dioramas” spielt Sugimoto mit unserer Wahrnehmung wie ein Zauberkünstler mit seinen Karten. Indem er Dioramen aus naturhistorischen Museen fotografiert, gelingt es ihm, ausgestopften Tieren Leben einzuhauchen und eine köstliche Verwirrung zwischen Wirklichkeit und Künstlichkeit zu schaffen. Diese Bilder verweisen auf Walter Benjamins Reflexionen über die mechanische Reproduktion von Kunst und den Verlust der Aura. Doch Sugimoto, als Magier, gelingt es, diesen eingefrorenen Szenen wieder eine Aura zu verleihen und verwandelt das Falsche in einem fotografischen Kunstgriff in das Wahre, der jeder Logik trotzt.

“Polar Bear” (1976), sein erstes Bild dieser Serie, ist ein wahres Meisterwerk. Der Eisbär, eingefroren in seinem räuberischen Schwung über einer toten Robbe, wirkt lebendiger als die Natur. Der künstliche Schnee wird unter seinem Objektiv real, der bemalte Hintergrund verwandelt sich in eine echte arktische Landschaft. Dieses Bild ist nicht einfach ein Foto eines Dioramas, es ist eine tiefgründige Reflexion über die Natur der Darstellung selbst, über unser ständiges Bedürfnis, das Lebendige zu bewahren, zu mumifizieren, einzufrieren.

Die konzeptionelle Kohärenz seines Werks ist beeindruckend. Ob er Kinoleinwände, unbewegte Meere oder mathematische Modelle fotografiert, Sugimoto verfolgt unermüdlich seine Suche nach der verlorenen Zeit, nicht auf proustsche Weise nostalgisch suchend, sondern eher wie ein verrückter Wissenschaftler, der versucht, die Sekunden zu zerlegen, um deren Wesen zu verstehen. Jede Serie ist ein neues Experiment, ein neuer Versuch, das Flüchtige einzufangen.

Seine Porträts von Wachsfiguren aus Madame Tussauds sind vielleicht seine verstörendsten Werke. Indem er diese Nachbildungen von Menschen mit der gleichen Sorgfalt fotografiert, wie er es bei lebenden Motiven tun würde, schafft er Bilder, die uns an unserer eigenen Realität zweifeln lassen. Heinrich VIII., Diana, Oscar Wilde, alle scheinen von einer gespenstischen Präsenz bewohnt zu sein, die über den Tod selbst hinausgeht. Es ist, als hätte Sugimoto einen Weg gefunden, die Seele dieser historischen Persönlichkeiten durch ihre Wachs-Doppelgänger zu fotografieren.

“Diana, Princess of Wales” (1999), zwei Jahre nach dem tragischen Tod der Prinzessin aufgenommen, ist besonders beunruhigend. Der leicht abgewandte Blick, der Ausdruck, zugleich scheu und königlich, die anmutige Pose, alles wirkt authentisch, lebendig, präsent. Und doch wissen wir, dass es nur eine Wachsreproduktion ist, so meisterhaft fotografiert, dass sie realer wirkt als die Natur. Dieses Bild stellt tiefgründige Fragen zur Natur der Darstellung, zu unserem Verhältnis zu Berühmtheit, Tod und Erinnerung.

Seine Arbeit an der Architektur treibt diese Reflexion über Zeit und Darstellung noch weiter voran. Indem er ikonische Gebäude mit absichtlich unscharfem Fokus fotografiert, schafft Sugimoto Bilder, die aus dem Nebel der Erinnerung zu entstehen scheinen. Das Chrysler Building, der Eiffelturm, das World Trade Center, diese Monumente moderner Architektur werden durch sein Objektiv zu gespenstischen Erscheinungen, zu archetypischen Formen, die ihre Materialität transzendieren.

Sugimotos “Mathematical Models” sind vielleicht der Höhepunkt seiner formalen Forschung. Diese Fotografien von mathematischen Modellen des 19. Jahrhunderts, die in monumentale Skulpturen verwandelt wurden, besitzen eine abstrakte Schönheit, die an die schönsten Errungenschaften des Modernismus erinnert. Zugleich sind sie tiefgründig konzeptionell und erforschen die Beziehung zwischen der reinen Form der Mathematik und ihrer physischen Manifestation in der realen Welt.

Seine Serie “Lightning Fields” stellt einen scheinbaren Bruch mit seiner üblichen Herangehensweise dar, fügt sich jedoch perfekt in seine Forschung über die Natur von Zeit und Licht ein. Indem er elektrische Entladungen direkt auf den fotografischen Film anwendet, schafft Sugimoto Bilder, die wie im Zeitstillstand eingefrorene Blitze aussehen. Diese Werke sind keine Fotografien im traditionellen Sinne, sondern direkte Aufzeichnungen der Wirkung des Lichts auf lichtempfindliches Material.

Die Zeit ist bei Sugimoto nicht nur eine einfache lineare Messgröße, sie ist ein formbares Material, das er nach Belieben formt. Seine Fotografien sind offene Fenster ins Unendliche, Portale zu einer Dimension, in der Zeit nicht mehr so existiert, wie wir sie kennen. Er vollbringt das Kunststück, uns das Unsichtbare sehen zu lassen, das Unfassbare spüren zu lassen. Jedes Bild ist eine Einladung, unsere gewöhnliche Wahrnehmung der Realität zu transzendieren.

Seine letzte Serie, “Opticks”, inspiriert von Isaac Newtons Arbeiten zum Licht, treibt diese Erkundung noch weiter voran. Indem er Prismen verwendet, um das Licht zu zerlegen, und die Ergebnisse mit einem Polaroid festhält, schafft Sugimoto farbenfrohe Abstraktionen, die fotografischen Rothkos ähneln. Diese Bilder sind der Beweis, dass er auch nach über fünfzig Jahren Karriere weiterhin innovativ ist und die Grenzen seines Mediums verschiebt.

In einer Welt, die von Instantaneität besessen ist, in der jede Sekunde komprimiert, geteilt und mit Lichtgeschwindigkeit konsumiert wird, bietet Sugimoto uns eine Pause, einen Atemzug, einen Moment reiner Kontemplation. Seine Bilder sind visuelle Meditationen über die Natur der Existenz selbst, fotografische Kōans, die uns einladen, unsere gewöhnliche Wahrnehmung von Zeit und Raum zu transzendieren.

Sein Werk ist der lebendige Beweis dafür, dass Fotografie weit mehr als nur ein dokumentarisches Medium sein kann: Sie kann ein philosophisches Werkzeug, eine Maschine zur Erforschung der Zeit, eine Brücke zwischen dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren sein. Sugimoto ist nicht nur ein Fotograf, sondern ein Philosoph des Lichts, ein Architekt der Zeit, ein Bildzauberer, der uns daran erinnert, dass die Realität immer seltsamer ist als die Fiktion.

In einem Jahrhundert, in dem zeitgenössische Kunst oft in ihren eigenen Widersprüchen verloren scheint, bleibt Sugimoto seiner Vision treu. Er schafft weiterhin Bilder, die unser Verständnis herausfordern und zugleich etwas zutiefst Universelles in uns berühren. Sein Werk ist ein strahlender Beweis dafür, dass Kunst uns noch immer bewegen, zum Nachdenken bringen und verwandeln kann.

Für diejenigen, die glauben, dass die Fotografie im digitalen Zeitalter gestorben ist, lade ich Sie ein, in Sugimotos Universum einzutauchen. Sie werden mit einer neuen Wahrnehmung von Zeit, Raum und der Realität selbst daraus hervorgehen. Und ist das nicht die wahre Kraft der Kunst?

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Referenz(en)

Hiroshi SUGIMOTO (1948)
Vorname: Hiroshi
Nachname: SUGIMOTO
Weitere Name(n):

  • 杉本博司 (Japanisch)

Geschlecht: Männlich
Staatsangehörigkeit(en):

  • Japan

Alter: 77 Jahre alt (2025)

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