Hört mir gut zu, ihr Snobs, ich werde euch von einer anderen Künstlerin erzählen, die eure Gewissheiten über zeitgenössische Kunst zerschmettert. Lisa Yuskavage ist keine Malerin, die man in eine bequeme Kategorie einordnen kann. Ihre Kunst konfrontiert uns mit unseren Widersprüchen, unseren unausgesprochenen Begierden und unseren moralischen Urteilen mit chirurgischer Präzision, die unsere wohlanständige Komfortzone destabilisiert.
Yuskavage scheint zur figurativen Malerei mit einer technischen Meisterschaft zurückzukehren, die Vermeer vor Neid erblassen lassen würde. Doch nicht diese Virtuosität stört die Kritiker so sehr, sondern das, was sie darstellt: Frauen mit übertriebenen Proportionen, in eindeutig sexuellen Posen, die in Welten mit säuerlichen Farben leben, die direkt aus einem fiebrigen Traum zu stammen scheinen, in dem Hochkultur und Populärkultur miteinander verschmelzen.
Diese Frauen mit leuchtender Hautfarbe, übergroßen Brüsten und Blicken, die mal leer, mal herausfordernd sind, haben der Künstlerin Vorwürfe wie Frauenfeindlichkeit, Komplizenschaft mit dem männlichen Blick oder bloße unnötige Provokation eingebracht. Doch bei diesen vorschnellen Urteilen Halt zu machen, würde an der beunruhigenden Komplexität ihres Werks vorbeigehen. Denn hinter diesen zur Schau gestellten Körpern verbirgt sich eine tiefgehende Reflexion über die weibliche Existenz, über die Mechanismen des Verlangens und über unsere ambivalente Beziehung zur Darstellung des Körpers.
Yuskavage bietet uns keine einfache Lesart an. Sie lehnt didaktische Erklärungen und explizite politische Botschaften ab. “Ich biete keine Lösungen an. Ich glaube nicht, dass es eine gibt”, erklärte sie bereits 1992. Diese ambivalente Haltung ist genau das, was die Kraft ihrer Arbeit ausmacht. Indem sie uns nicht sagt, wie wir diese Bilder interpretieren sollen, verweist sie uns auf unsere eigenen Projektionen, auf unser eigenes Unbehagen gegenüber diesen Frauen, die, fern davon, nur passive Opfer zu sein, manchmal wie Komplizinnen ihrer eigenen Objektivierung wirken.
Was in Yuskavages Gemälden sofort auffällt, ist ihre fast übernatürliche Leuchtkraft. Die Künstlerin beherrscht die Technik des Sfumato aus der Renaissance und schafft neblige Atmosphären, in denen die Körper scheinbar direkt aus der Farbe selbst hervorgehen. Diese Technik ist nicht nur ein bloßer ästhetischer Effekt: Sie trägt wesentlich zur Bedeutung des Werks bei, indem sie eine Spannung zwischen der rohen Materialität der dargestellten Körper und deren fast gespenstischer Dimension erzeugt, als ob sie in einem Dazwischen existierten, weder ganz real noch ganz phantasiert.
Betrachtet man das Werk von Lisa Yuskavage aus der Perspektive der Lacanschen Psychoanalyse, kann man darin eine Inszenierung des Blicks als Trieb sehen, der das Subjekt konstituiert. Die von ihr gemalten weiblichen Figuren werden nicht so sehr betrachtet, sondern sehen uns an und verweisen damit auf unsere Position als Voyeur. Genau diese Umkehrung erzeugt das Unbehagen: Wir glaubten, die Kontrolle über diese offerierten Körper zu haben, und nun spiegeln uns diese Körper unser eigenes Verlangen und unsere eigene Schuld wider.
Jacques Lacan definiert den Blick als ein “objet petit a”; dieses Konzept repräsentiert das, was unser Verlangen hervorruft, aber immer außerhalb unserer Reichweite bleibt. Die von Yuskavage gemalten Frauen veranschaulichen diese Idee perfekt: Je zugänglicher und entblößter sie erscheinen, desto psychologisch unerreichbarer bleiben sie, wodurch eine permanente Spannung entsteht, die das menschliche Verlangen kennzeichnet. Ihr direkter Blick, oft leer oder gleichgültig, schafft eine unüberbrückbare Kluft zwischen dem, was wir zu sehen glauben, und dem, was uns ansieht. Wie Lacan schreibt: “Was mich im Sichtbaren grundsätzlich bestimmt, ist der Blick von außen. Durch den Blick trete ich ins Licht, und vom Blick empfange ich dessen Wirkung.”
Diese psychoanalytische Dimension findet sich in Werken wie “Rorschach Blot” (1995), in dem eine blonde Frau mit gespreizten Beinen dem Betrachter schamlos ihr Geschlecht zeigt. Dieses Gemälde funktioniert tatsächlich wie ein Rorschach-Test: Was wir darin sehen, sagt mehr über uns aus als über das Bild selbst. Einige werden darin eine bloße Obszönität sehen, andere eine feministische Kritik an der Objektivierung, wieder andere eine Erforschung weiblicher Sexualität, die von moralischen Zwängen befreit ist. Yuskavage fällt kein Urteil, sie stellt uns vor unsere eigene Interpretation, unser eigenes Unbehagen.
Die Psychoanalyse lehrt uns, dass sich das Verlangen um einen fundamentalen Mangel strukturiert. Die hypertrophierten Körper von Yuskavage, mit ihren unmöglichen Proportionen und übertriebenen Posen, verkörpern diese Fantasie eines Körpers, der diesen Mangel füllen würde. Gleichzeitig erinnert uns gerade ihre Künstlichkeit an die Unmöglichkeit dieser Vollständigkeit. Diese Frauen sind zugleich zu präsent, zu körperlich und dennoch ungreifbar, wie Phantasmen, die sich auflösen würden, wenn wir versuchen würden, sie zu berühren.
In “Night” (1999-2000) erwacht eine brünette Frau im Zwielicht, um ihren Körper zu betrachten. Dieser Moment der Intimität, in dem das Subjekt sich selbst betrachtet, wird unter dem Pinsel von Yuskavage zu einer fast theatralischen Szene, in der der Betrachter in eine unangenehme Voyeur-Position versetzt wird. Wir sind Zeugen eines Moments, der nicht für uns bestimmt ist, und doch lädt uns die malerische Inszenierung eindeutig zum Schauen ein. Diese Ambivalenz steht im Mittelpunkt der Arbeit der Künstlerin.
Während uns die Psychoanalyse Werkzeuge bietet, um die Dynamik des Blicks im Werk von Yuskavage zu verstehen, erlaubt sie uns auch, die Frage des Narzissmus zu erforschen, die ihr Werk durchzieht. Ihre weiblichen Figuren scheinen oft in einer Selbstbetrachtung versunken zu sein, die zwischen Autoerotik und Selbstanalyse schwankt. Dieser Narzissmus ist nicht notwendigerweise pathologisch; er kann als eine Form der Aneignung des weiblichen Körpers verstanden werden, der traditionell durch männlichen Blick definiert wurde.
Indem Yuskavage weibliche Figuren schafft, die sich selbst mit der gleichen Intensität betrachten, mit der der Betrachter sie betrachtet, verlagert sie das Zentrum der Sicht-Macht. Der Narzissmus wird so zu einer Form des Widerstands, eine Art zu sagen: “Ich betrachte mich selbst, bevor ihr mich betrachtet, ich definiere mich selbst, bevor ihr mich definiert.” Diese Dimension ist besonders in “Day” (1999-2000) präsent, wo eine blonde Frau ihren eigenen Körper mit fast klinischer Neugier untersucht.
Der Begriff des Narzissmus selbst, der auf den Mythos von Narziss verweist, der sich in sein eigenes Spiegelbild verliebt, erhält hier eine neue Bedeutung. Die Frauen von Yuskavage sind nicht so sehr in sich selbst verliebt, sondern auf der Suche nach einer Selbstdefinition, die den von der Gesellschaft auferlegten Kategorien entgeht. Ihre Selbstbetrachtung ist eine Form der Selbsterschaffung.
Diese narzisstische Dimension wird noch komplizierter, wenn man die zunehmende Präsenz männlicher Figuren in den jüngeren Werken von Yuskavage betrachtet. In Gemälden wie “Hippies” (2013) erscheinen die Männer als gespenstische, fast sekundäre Präsenz und kehren die malerische Tradition um, in der Frauen oft nur dekorative Accessoires in von Männern dominierten Szenen waren.
Diese Männer, oft in Grautönen oder weniger lebendigen Farbtönen als die Frauen gemalt, scheinen in einem anderen Realitätssystem zu existieren. Sie sind da, ohne wirklich da zu sein, wie Projektionen eines weiblichen Verlangens, das sie herbeiruft, ohne ihnen volle Präsenz zu gewähren. Diese Umkehrung der traditionellen Rollen stellt eine subtile feministische Kritik dar, die die Fallen des Didaktischen vermeidet.
In “Wine and Cheese” (2017) wird ein Mann in rosafarbenen Tönen von hinten von einer blassen Frau umarmt. Dieses Werk, das sich sowohl von Hans Baldung Grien als auch von Fotografien aus dem Magazin Viva inspirieren lässt, illustriert perfekt, wie Yuskavage gelehrte Referenzen und Popkultur mischt, um Bilder zu schaffen, die unsere Erwartungen destabilisieren.
Die psychoanalytische Dimension von Yuskavages Werk zeigt sich auch in ihrer Darstellung dessen, was Freud den “Kastrationskomplex” nannte. Die hyperbolischen weiblichen Körper, die sie malt, mit ihren übergroßen Brüsten und entblößten Vulven, können als Ausdruck einer Angst vor dem sexuellen Unterschied gelesen werden. Indem sie die weiblichen Geschlechtsmerkmale bis zur Absurdität übertreibt, macht sie die männliche Angst vor dem, was ihm entgeht, sichtbar.
Aber weit davon entfernt, diese Angst nur zu reproduzieren, inszeniert Yuskavage sie, um sie besser zu dekonstruieren. Ihre Frauen sind keine passiven Wesen, definiert durch ihr Fehlen (wie in der klassischen freudianischen Theorie), sondern aktive Wesen, die ihren Körper und ihre Sexualität voll und ganz ausleben, manchmal bis zur Übersteigerung. Sie sind nicht kastriert, im Gegenteil, sie besitzen eine sexuelle Macht, die als bedrohlich empfunden werden kann.
Diese Dimension ist besonders präsent in “The Fuck You Painting” (2020), wo eine junge Frau dem Betrachter den Mittelfinger zeigt. Diese explizit aggressive Geste bricht mit der traditionellen Darstellung der Frau als passives Objekt männlichen Begehrens. Die Frau wird hier nicht nur betrachtet, sie blickt zurück, und ihr Blick ist beschuldigend, lehnt die voyeuristische Position ab, in der sich der Betrachter gefallen könnte.
Wenn Yuskavages Werk durch die Brille der Psychoanalyse gelesen werden kann, gewinnt es auch durch die Verbindung zur literarischen Tradition des Grotesken, wie sie insbesondere von Michail Bakhtin theoretisiert wurde. Der groteske Körper ist ein übermäßiger, überschäumender Körper, der seine eigenen Grenzen überschreitet. Er ist ein Körper im Werden, niemals vollendet, immer im Zustand der Veränderung.
Die weiblichen Körper von Yuskavage, mit ihren unmöglichen Proportionen und übertriebenen Posen, fügen sich perfekt in diese Ästhetik des Grotesken ein. Es sind keine idealisierten Körper wie in der klassischen Tradition, sondern Körper, die die Normen der Weiblichkeit bis zur Absurdität treiben, wie sie durch den männlichen Blick konstruiert werden.
Das Groteske hat nach Bakhtin eine tief subversive Dimension. Indem es den Körper in seiner materiellsten, fleischlichsten Form zeigt, stellt es die sozialen Konventionen infrage, die versuchen, diesen Körper zu disziplinieren. Yuskavages Frauen mit ihrer übersteigerten Sexualität und ihrer übermäßigen Körperlichkeit verkörpern diese subversive Dimension des Grotesken.
In ihren jüngeren Werken wie dem “Triptych” (2011) erweitert Yuskavage ihre Palette noch, indem sie ihre Figuren in großformatige Landschaften integriert, die an die akademische Historienmalerei erinnern. Dieses Triptychon von fast 5,5 Metern Breite zeigt in der Mitte eine Frau, die auf einer Bank liegt, die Beine gespreizt, das Geschlecht entblößt, während in den seitlichen Tafeln Frauen in bäuerlicher Kleidung die Szene mit ausdrucksloser Miene beobachten.
Dieses komplexe Werk kann als Allegorie der Spannung zwischen sexueller Befreiung und moralischer Repression gelesen werden. Die Frauen in bäuerlicher Kleidung, die Yuskavage ihre “Nel’zahs” nennt (nach dem russischen Ausdruck für “Mach das nicht!”), repräsentieren die Kräfte der Zensur und moralischen Urteils, die versuchen, die weibliche Sexualität zu kontrollieren.
Aber sie können auch als Teil der weiblichen Psyche selbst gesehen werden, jene innere Stimme, die unsere eigenen Begierden beurteilt und verurteilt. Denn wie Bakhtin betont, ist das Groteske nicht nur eine äußere Darstellung des Anderen, sondern eine Dimension unserer eigenen Erfahrung, die wir zu verdrängen versuchen.
Das Triptychon von Yuskavage stellt diese innere Spannung, diesen konfliktreichen Dialog zwischen verschiedenen Teilen unseres Selbst dar. Die zentrale Frau, mit ihrem entblößten Körper, repräsentiert vielleicht das freudianische Es, den Sitz der Triebe und Wünsche, während die Frauen in bäuerlicher Kleidung das Über-Ich verkörpern würden, die Instanz der Zensur und moralischen Beurteilung.
Diese psychoanalytische Lesart wird durch die Aussagen der Künstlerin selbst verstärkt, die über ihre Arbeit erklärte: “Ich habe kein Interesse daran, mit dem Finger auf andere zu zeigen, sondern meine eigenen Verbrechen zu erzählen. Ich interessiere mich dafür zu zeigen, wie die Dinge sind, und nicht, wie sie sein sollten. Ich nutze das, was gefährlich ist und was mir Angst macht in mir: die Frauenfeindlichkeit, die Selbstabwertung, die soziale Ambition, das ewige Streben nach Perfektion.”
Diese Fähigkeit, ihre eigenen Widersprüche zu erforschen, die Kräfte in sich selbst anzuerkennen, die sie kritisiert, verleiht Yuskavages Werk seine psychologische Tiefe und emotionale Kraft. Sie erhebt sich nicht in eine moralische Überlegenheitsposition, sondern steigt mit ihren Themen in die “Grube” hinab, wie sie selbst sagt.
Das literarische Groteske, wie es Bakhtin definiert, ist ebenfalls durch seine Ambivalenz gekennzeichnet: Es ist zugleich erniedrigend und regenerierend, tödlich und lebenskräftig. Diese Ambivalenz spiegelt sich voll und ganz in Yuskavages Werk wider, in dem die rohe Darstellung von Sexualität weder einfach feierlich noch nur kritisch ist, sondern beides zugleich.
Die Körper, die sie malt, sind zugleich verletzlich und mächtig, bemitleidenswert und triumphierend, Objekte und Subjekte. Diese emotionale Komplexität unterscheidet ihre Arbeit von einfacher Pornografie oder bloßer feministischer Anprangerung. Sie stellt uns der grundlegenden Mehrdeutigkeit unserer Beziehung zu Körper und Begehren gegenüber.
Die Kritikern Julia Felsenthal schrieb 2020 in der New York Times über Yuskavage: “Ein weiteres frühes Werk, Rorschach Blot (1995), fasst ihren psychosexuellen Ansatz in einem Bild zusammen: eine karikaturhafte Blonde, mit gespreizten Knien, die ihre Intimität vollständig offenbart, die die Malerin als eine Art obszönes Ausrufezeichen darstellt.” Diese Beschreibung, wenn auch reduzierend, erfasst etwas Wesentliches in der Arbeit der Künstlerin: ihre Fähigkeit, den weiblichen Körper in ein Zeichen zu verwandeln, das seine bloße Darstellung übersteigt, in ein Ausrufezeichen, das uns anspricht und irritiert.
Was Felsenthal nicht sieht oder zu übersehen vorgibt, ist die Komplexität des Dialogs, den Yuskavage mit der Kunstgeschichte führt. Ihre Referenzen beschränken sich nicht auf Popkultur und Pornografie, sondern umfassen die gesamte Tradition der westlichen Malerei, von Giovanni Bellini bis Philip Guston, sowie Vermeer, Degas und Vuillard.
Diese malerische Gelehrsamkeit ist kein bloßes Stilmittel oder ein Versuch der Legitimation. Sie trägt voll und ganz zum Sinn des Werks bei, indem sie eine Spannung zwischen “hoher” Kultur und “niedriger” Kultur, zwischen dem Sakralen und dem Profanen erzeugt. Die sexualisierten Körper von Yuskavage existieren im gleichen malerischen Raum wie die Madonnen der Renaissance und schaffen einen visuellen und konzeptuellen Kurzschluss, der uns zwingt, unser Verhältnis zu diesen beiden Traditionen neu zu denken.
In “Night Classes at the Department of Painting Drawing and Sculpture” (2018-2020) stellt Yuskavage explizit diese meta-künstlerische Dimension dar, indem sie einen abendlichen Kunstkurs zeigt, in dem Studenten eine nackte Modell zeichnen. Dieses Werk kann als Reflexion über die akademische Tradition des Aktzeichnens verstanden werden, über die Weise, wie der weibliche Körper als pädagogisches Material in der Ausbildung von Künstlerinnen verwendet wurde.
Aber indem sie diese Szene nachts in einem heimlichen Kontext ansiedelt und ein Element expliziten Verlangens einführt (einer der Studenten berührt den Körper des Modells), offenbart Yuskavage das, was im Diskurs über die Kunst üblicherweise verdrängt wird: die erotische Dimension des künstlerischen Blicks.
Die westliche Kunst hat lange Zeit behauptet, dass der akademische Akt nichts mit sexuellem Verlangen zu tun habe, dass es sich um eine rein ästhetische Betrachtung der idealen Schönheit handele. Yuskavage reißt diesen heuchlerischen Schleier ein, indem sie zeigt, dass der Akt, einen nackten Körper anzuschauen, stets potenziell erotisch ist, immer vom Verlangen durchdrungen.
Diese Klarheit gegenüber den Mehrdeutigkeiten des künstlerischen Blicks verleiht ihrem Werk seine kritische Dimension, weit mehr als jede explizite Anklage. Sie sagt uns nicht, was wir von den Bildern, die sie schafft, denken sollen, sondern zwingt uns, über unsere eigene Position als Betrachter nachzudenken, über unsere eigene Komplizenschaft mit den Machtstrukturen, die die Sichtbarkeit von Körpern organisieren.
Betrachtet man die Entwicklung von Yuskavages Werk von ihren Anfängen an, so erkennt man eine interessante Bewegung: Ausgehend von einer Erforschung des weiblichen Körpers als Ort der Projektion männlichen Verlangens, hat sie nach und nach männliche Figuren in ihre Kompositionen integriert und schafft so komplexere Szenen, in denen Machtverhältnisse weniger eindeutig sind.
In neueren Werken wie “The Neighbors” (2014), wo eine Frau auf einem liegenden Mann reitet, oder “Sari” (2015), wo ein nackter Mann scheinbar eine vor ihm stehende Frau verehrt, kehrt Yuskavage die traditionellen Rollen um und stellt die Frau in eine Position der Dominanz oder Gleichgültigkeit gegenüber männlichem Verlangen.
Diese Entwicklung zeugt von einer fortwährenden Reflexion über die Macht-Dynamiken, die unsere Beziehung zum Körper und zum Verlangen strukturieren. Weit davon entfernt, sich zu wiederholen, verfolgt Yuskavage eine systematische Erforschung der verschiedenen möglichen Konfigurationen von Verlangen und Blick, wodurch ihr Werk mit der Zeit an Komplexität und Tiefgang gewinnt.
Beeindruckend an dieser Entwicklung ist, wie Yuskavage ihrer künstlerischen Vision treu bleibt und sie zugleich ständig erneuert. Ihre Themen, Techniken und Farbpalette bleiben erkennbar, doch erweitert sich ihre Perspektive und integriert neue Elemente, die ihre Reflexion bereichern, ohne sie zu verwässern.
Diese Kohärenz im Wandel ist ein Kennzeichen großer Künstler, jene, die es schaffen, ein eigenes visuelles Universum zu erschaffen und es gleichzeitig in einem ständigen Dialog mit der sie umgebenden Welt zu halten. Yuskavage gehört zweifellos zu ihnen.
In ihren jüngsten Bildern hat Yuskavage auch begonnen, ihre eigene Präsenz als Künstlerin in ihre Kompositionen einzubinden. In einer kleinen Leinwand aus dem Jahr 2020 stellt sie sich selbst dar, wie sie “Night Classes at the Department of Painting Drawing and Sculpture” malt. Diese Mise-en-abyme, in der die Künstlerin sich selbst bei der Schaffung des Werks zeigt, das wir betrachten, fügt ihrem Werk eine zusätzliche Ebene der Reflexivität hinzu.
Indem sie sich selbst als Schöpferin dieser beunruhigenden Bilder darstellt, übernimmt Yuskavage voll und ganz ihre künstlerische Verantwortung. Sie versteckt sich nicht hinter der Mehrdeutigkeit ihres Werks, sondern bringt sich direkt ein und versetzt sich selbst in die unbequeme Position, die sie für den Betrachter schafft.
Diese autobiografische Dimension war bereits in ihrer Arbeit auf subtilere Weise vorhanden. Yuskavage hat oft darüber gesprochen, wie ihre persönliche Erfahrung, insbesondere ihre Arbeit als Aktmodell während ihres Studiums, ihr Verständnis der Macht-Dynamiken beeinflusst, die mit der Darstellung des weiblichen Körpers verbunden sind.
Aber indem sie sich ausdrücklich als die Künstlerin darstellt, die diese Bilder schafft, verkompliziert sie unsere Lektüre ihres Werks noch weiter. Sie ist nicht mehr nur diejenige, die den männlichen Blick kritisiert, sondern auch die, die Bilder erschafft, die wiederum als Fortsetzung dieses Blicks kritisiert werden könnten. Diese intellektuelle Ehrlichkeit, diese Fähigkeit, sich selbst in Frage zu stellen, verleiht ihrer Arbeit ihre ethische Tiefe.
Die groteske Dimension von Yuskavages Werk, die wir bereits angesprochen haben, gewinnt, wenn man sie mit der literarischen Tradition des Karnevales in Verbindung bringt, die ebenfalls von Bakhtin theoretisiert wurde. Der Karneval war in der mittelalterlichen Kultur jener Moment, in dem soziale Hierarchien vorübergehend aufgehoben wurden, in dem das Volk sich über die Mächtigen lustig machen konnte und Tabus aufgehoben wurden.
Yuskavages Kunst teilt mit dem Karneval diese Fähigkeit, etablierte Werte vorübergehend umzukehren, einen Raum zu schaffen, in dem das, was üblicherweise zensiert ist, sich ausdrücken kann. Ihre Gemälde funktionieren wie visuelle Karnevale, in denen die Körper über ihre zugewiesenen Grenzen hinausgehen, Sexualität schamlos zur Schau gestellt wird und der “untere” Körper dem “oberen” Geistigen die Revanche gibt.
Doch wie der mittelalterliche Karneval ist auch dieser Freiheitsraum ambivalent. Er erlaubt eine vorübergehende Befreiung, hinterfragt aber nicht unbedingt langfristig die Machtstrukturen. In gleicher Weise bietet Yuskavages Kunst einen Raum, um sich mit unseren Wünschen und Ängsten auseinanderzusetzen, beansprucht aber nicht, die Widersprüche, die sie durchziehen, zu lösen.
Diese karnevaleske Dimension erklärt vielleicht, warum ihre Arbeit so polarisierende Reaktionen hervorruft. Wer in ihr eine bloße Reproduktion sexistischer Stereotype sieht, übersieht ihre subversive Dimension, während diejenigen, die in ihr eine eindeutige feministische Botschaft suchen, enttäuscht sein können von ihrer Weigerung des Didaktischen.
Yuskavages Stärke besteht gerade darin, diese Spannung aufrechtzuerhalten, Bilder zu schaffen, die sich jeder endgültigen Interpretation widersetzen. Wie sie selbst gesagt hat: “Ich lade nur die Pistole”, sagt sie gern denen, die darauf bestehen, ein Gemälde als Erklärung zu sehen. Diese Metapher der geladenen Pistole offenbart ihr Kunstverständnis. Yuskavage schafft Bilder, die mit explosiven Möglichkeiten geladen sind, aber es liegt am Betrachter zu entscheiden, ob er den Abzug betätigen und in welche Richtung er schießen will. Diese Verantwortung des Betrachters ist einer der radikalsten Aspekte ihrer Arbeit.
Indem Yuskavage uns verweigert, wie wir ihre Bilder interpretieren sollen, zwingt sie uns, unsere eigene ethische Position ihnen gegenüber einzunehmen. Wir können uns nicht hinter der Absicht der Künstlerin oder einer expliziten politischen Botschaft verstecken. Wir stehen allein vor diesen entblößten Körpern, allein mit unserem Verlangen, unserer Verlegenheit, unserem moralischen Urteil.
Diese ethische Forderung ist vielleicht das, was ihr Werk am deutlichsten von einfacher Pornografie oder Werbebildern unterscheidet, die unsere visuelle Umgebung übersättigen. Wo letztere uns Bilder zum passiven Konsum bieten, zwingt Yuskavage uns, unser eigenes Verlangen zu sehen, unsere eigene Komplizenschaft mit den Machtstrukturen, die die Sichtbarkeit von Körpern organisieren, zu hinterfragen.
In diesem Sinne ist ihr Werk zutiefst politisch, nicht weil es eine explizite Botschaft vermittelt, sondern weil es uns zwingt, uns der politischen Dimensionen unseres eigenen Blicks bewusst zu werden. Es erinnert uns daran, dass Sehen niemals ein unschuldiger Akt ist, dass unser Blick immer schon in Machtverhältnisse eingebettet ist, die unser individuelles Bewusstsein übersteigen. Diese implizite politische Dimension macht Yuskavage heute zu einer so wichtigen Künstlerin. Ihre Arbeit bietet uns einen Raum, um über unsere eigene Beziehung zu sexualisierten Bildern nachzudenken, die unsere Zeit durchdringen, und um uns der Wünsche und Ängste bewusst zu werden, die sie in uns mobilisieren.
Lisa Yuskavage ist keine einfache Künstlerin. Ihr Werk bestätigt uns nicht in unseren Gewissheiten und bietet nicht das einfache Vergnügen von Schönheit oder moralischer Empörung. Sie stellt uns unseren eigenen Widersprüchen und der grundlegenden Mehrdeutigkeit unseres Verhältnisses zum Körper und zur Begierde gegenüber. Es ist ein Werk, das stört, provoziert, aber niemals gleichgültig lässt.
Und genau diese Fähigkeit, uns aus unserer Komfortzone zu holen und uns dazu zu bringen, hinzuschauen, was wir lieber nicht sehen wollen, macht sie zu einer der wichtigsten Künstlerinnen unserer Zeit. Yuskavage erinnert uns an die ursprüngliche Berufung der Kunst: uns mit dem zu konfrontieren, was wir sind, in all unserer beunruhigenden Komplexität.
Also, ihr Snobs, hört auf, in ihrem Werk eine Bestätigung eurer Vorurteile zu suchen, seien sie progressiv oder konservativ. Lasst euch durch diese Körper destabilisieren, die euch ebenso ansehen, wie ihr sie anseht. Akzeptiert, verunsichert, vielleicht irritiert oder erregt zu sein. Gerade in diesem Unbehagen, in dieser Zone des Unkomforts entfaltet Yuskavages Kunst ihre ganze transformierende Kraft.
Denn letztlich bietet uns diese Künstlerin keine tröstliche Sicht auf die Welt oder uns selbst, sondern eine Einladung, dem ins Gesicht zu schauen, was wir üblicherweise zu ignorieren bevorzugen: die schwindelerregende Komplexität unserer Begierden, die Ambivalenz unserer moralischen Urteile, unsere eigene Komplizenschaft mit dem, was wir zu kritisieren vorgeben. Und dies ist vielleicht die größte Provokation ihres Werks: nicht ihre überdimensionalen Brüste oder offengelegten Vulven, sondern ihr hartnäckiges Weigern, uns selbst belügen zu lassen.
















