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Ma Ke: Das ästhetische und existenzielle Erlebnis

Veröffentlicht am: 20 März 2025

Von: Hervé Lancelin

Kategorie: Kunstkritik

Lesezeit: 7 Minuten

Ma Ke verwandelt die Leinwand in ein existenzielles Schlachtfeld, auf dem seine Figuren zwischen Präsenz und Abwesenheit schwanken. Durch eine energiegeladene malerische Technik und intensive Farben erkundet er die Grenzen der Darstellung und schafft einen Begegnungsraum zwischen östlicher und westlicher Kultur.

Hört mir gut zu, ihr Snobs, hört einen Moment auf euer belangloses Geschwätz und eure narzisstische Betrachtung der immer gleichen Künstler, die ihr bei euren Vernissagen abspult. Es ist an der Zeit, woanders hinzuschauen, nach Osten, zu diesem China, von dem ihr normalerweise nur die Klischees kennt, und manchmal nicht einmal die. Heute werde ich euch von Ma Ke erzählen, diesem chinesischen Maler, der die Leinwand in ein Schlachtfeld der Existenz verwandelt, in eine Bühne ständiger Metamorphosen, diesen wagemutigen Seiltänzer, der mit einer Lässigkeit, die euch vor Neid erblassen ließe, den Abgrund zwischen Tradition und Innovation überquert.

Ma Ke wurde 1970 in Zibo, China, geboren, aber ich werde euch keine Geschichte vom Wunderkind erzählen. Sein Weg ist vielmehr der eines ständig wachen Bewusstseins, eines Mannes, der seine Gedanken in malerische Handlung verwandeln konnte. Zuerst von seinem Vater im chinesischen traditionellen Techniken und im russischen Sozialrealismus ausgebildet, dann an der Tianjin Kunstakademie und der Zentralen Akademie der Schönen Künste in Peking, entdeckte Ma Ke die westliche Kunst als Offenbarung, einen neuen Atem, der ihm half, andere Möglichkeiten, andere Freiheiten zu erdenken.

Was seine Arbeit so interessant macht, ist seine Art, zwischen zwei Welten zu navigieren, oszillierend zwischen der expressiven Kraft der westlichen Abstraktion und der meditativen Tiefe der chinesischen Tradition. In seinen Gemälden, die oft von einsamen oder wenigen Figuren bevölkert sind und in monochromen Hintergründen schwimmen, schafft Ma Ke einen Begegnungsraum zwischen Kulturen, ein Experimentierfeld, um die Grenzen der Darstellung und des Ausdrucks zu erforschen.

Sehen Sie sich dieses Werk mit dem Titel “Das Schwert suchen” an, in dem Ma Ke die klassische chinesische Parabel mit einer zeitgenössischen Note neu interpretiert, die uns direkt in das kafkaeske Universum der Metamorphose versetzt. Diese Szene ist nicht nur eine einfache Illustration einer alten Geschichte, sie ist eine visuelle Metapher unserer modernen Lage, schwebend zwischen kollektiver Erinnerung und individueller Orientierungslosigkeit. Wie Vladimir Nabokov in seiner Analyse von Kafkas Erzählungen schrieb: “Die Metamorphose ist jener genaue Moment, in dem die Seele ihr eigenes Gefängnis erkennt” [1]. Ma Ke fängt genau diesen Moment des Bewusstwerdens ein, in dem der Mensch seine tragische Lage realisiert und gleichzeitig nach einem Ausweg sucht.

Seine malerische Technik, mit diesen energischen und expressiven Pinselstrichen, diesen intensiven Farben, die aus monochromen Hintergründen hervortreten, verweist auf die inneren Qualen des modernen Menschen. Diese Figuren, die manchmal zu verschwinden scheinen, manchmal gewaltsam aus dem Hintergrund hervortreten, erinnern nicht von ungefähr an Emil Ciorans Gedanken über das Verschwinden des Individuums: “Wir sind alle eigentlich am Grund einer Hölle, deren jeder Moment ein Wunder ist” [2]. Ma Ke schafft gerade diese wundersamen Momente, in denen der Mensch in all seiner Zerbrechlichkeit dennoch seine Präsenz gegenüber den Kräften behauptet, die versuchen, ihn zu verschlingen.

Was im Werk von Ma Ke sofort ins Auge fällt, ist diese ständige Spannung zwischen Erscheinung und Verschwinden, zwischen Anwesenheit und Abwesenheit. In der Serie “Chevauchant le vide”, inspiriert von einem Gedicht von Tang Wei Zhuang, illustriert Ma Ke diese spirituelle Suche mit einer ergreifenden Intensität. Der Reiter, der im leeren Raum schwebt, symbolisiert das menschliche Bestreben, seine irdische Existenz zu transzendieren. Man könnte darin eine fast wörtliche Darstellung dessen sehen, was Peter Sloterdijk “die gespannte Vertikalität” nennt, diese menschliche Neigung, sich über die eigene Bedingung zu erheben: “Der Mensch ist derjenige, der sich überwinden muss, um zu sein” [3]. Die Vertikalität, die das Werk von Ma Ke durchzieht, ist nicht nur formal, sondern tief philosophisch.

Die Landschaften, die Ma Ke darstellt, sind niemals idyllische Orte oder naturalistische Darstellungen, sondern geistige Räume, Seelenlandschaften. In “Montagne vide” wird die Landschaft zu einer fast metaphysischen Präsenz, einem Ort, an dem der Mensch seiner Bedeutungslosigkeit gegenüber der Unermesslichkeit begegnet. Dieser Ansatz erinnert unweigerlich an Jankélévitchs Überlegungen zur Berg als Metapher der philosophischen Suche: “Der Berg ist kein Ziel, sondern ein Mittel; er ist kein Ende, sondern ein Weg, um weiter zu sehen” [4]. Ma Ke verwandelt so die traditionelle chinesische Landschaft in einen zeitgenössischen existenziellen Raum.

Der Einfluss von Jung und seiner Theorie des kollektiven Unbewussten ist ebenfalls im Werk von Ma Ke spürbar, insbesondere in seiner Art, universelle Archetypen zu verwenden und sie in einer persönlichen malerischen Sprache zu erneuern. Das Pferd, eine wiederkehrende Figur in seinem Werk, erinnert nicht von ungefähr an das, was Jung “Urbilder” nannte, diese angeborenen Darstellungen, die unser kollektives Unbewusstes bewohnen [5]. Doch Ma Ke begnügt sich nicht damit, diese Archetypen zu reproduzieren; er verwandelt sie, verzerrt sie und verleiht ihnen ein neues Leben, das unserer turbulenten Zeit entspricht.

Nehmen wir zum Beispiel seine Serie über “La Métamorphose”, inspiriert von Kafka. Ma Ke versucht nicht, die Erzählung des tschechischen Schriftstellers buchstäblich zu illustrieren, sondern deren Wesen einzufangen, die existentielle Angst vor der Verwandlung. Die deformierten, fragmentierten Körper, die diese Bilder bevölkern, erinnern an das, was Deleuze und Guattari unter dem Konzept des “Körpers ohne Organe” theorisierten, dieses Streben, den organischen Bestimmungen zu entkommen, um einen Zustand reiner Intensität zu erreichen [6]. Ma Ke lädt uns durch seine Arbeit an der menschlichen Figur ein, unser Verhältnis zum Körper, zur Identität und zur Transformation neu zu denken.

In seinen jüngsten Werken hat sich Ma Ke einer abstrakteren Erkundung zugewandt, bei der Punkte, Linien, Flächen, Kugeln und geometrische Formen verwendet werden, um Bilder von Tieren oder menschlichen Figuren zu schaffen. Dieser geometrischere Ansatz, der an bestimmte kubistische Forschungen erinnert, zeugt von seinem beständigen Willen, seine malerische Sprache zu erneuern und neue Wege zu finden, das Menschliche auszudrücken. Wie Paul Klee schrieb: “Kunst reproduziert nicht das Sichtbare, sie macht sichtbar” [7]. Ma Ke versucht gerade durch diese abstrakten Kompositionen, das Unsichtbare sichtbar zu machen, diesen Kräften Form zu geben, die uns durchdringen und ausmachen.

Ma Kes Palette, die oft von Grautönen oder Rosa dominiert wird, schafft eine zugleich intime und beunruhigende Atmosphäre. Diese chromatische Einschränkung ist kein Zeichen von Begrenzung, sondern im Gegenteil Ausdruck von Konzentration und Intensivierung des Ausdrucks. Wie Alberto Giacometti bemerkte: “Je mehr ich schaue, desto mehr sehe ich grau” [8]. Dieses Grau, das manche Werke von Ma Ke durchdringt, ist kein Zeichen von Ernüchterung, sondern vielmehr von Klarheit und dem Willen, die Welt so zu sehen, wie sie ist, jenseits farbiger Illusionen.

Was Ma Ke von vielen zeitgenössischen chinesischen Künstlern unterscheidet, ist seine Weigerung, auf die Karte des “Exotismus” oder der kulturellen Identität als Verkaufsargument zu setzen. Er sucht nicht danach, eine “typisch chinesische” Kunst zu schaffen, die den westlichen Erwartungen entspricht, noch imitiert er westliche künstlerische Trends. Sein Ansatz ist zutiefst aufrichtig, verwurzelt in einer persönlichen Reflexion über die menschliche Existenz und die Ausdrucksmöglichkeiten der Malerei. Wie die Kunstkritikerin Karen Smith treffend bemerkte, könnte Ma Ke durchaus “der erste authentische modernistische Maler Chinas” sein [9].

Ma Kes Arbeit erinnert uns daran, dass wahre Kunst nie nur eine Frage von Stil oder Technik ist, sondern immer eine Angelegenheit innerer Notwendigkeit und persönlicher Weltsicht. In einer Zeit, in der zeitgenössische Kunst oft auf Marketingstrategien oder intellektuelle Haltungen reduziert wird, zeigt uns Ma Kes Werk, was Malerei sein kann, wenn sie als wahrhaft existenzielle Erforschung praktiziert wird: ein Raum der Freiheit, der Befragung und der Verwandlung.

Was mich persönlich an Ma Kes Werk berührt, ist diese Weise, Bilder zu schaffen, die uns verfolgen und lange in uns weiterleben, nachdem wir den Blick abgewandt haben. Seine Gemälde sind keine dekorativen Objekte, die unsere Innenräume verschönern, sondern beunruhigende Präsenz, die uns befragt, destabilisiert und verwandelt. Wie François Cheng über die traditionelle chinesische Malerei schrieb: “Wahre Malerei ist jene, in die man hineingehen kann wie in eine reale Landschaft, in der man verweilen, umherirren und zurückkehren kann” [10]. Ma Kes Gemälde sind genau solche bewohnbaren Räume der Vorstellung, solche Gebiete, in denen die Seele umherirren und sich verlieren kann.

Hört mir gut zu, ihr Snobs, wenn ihr Kunst sucht, die euch in euren Überzeugungen bestätigt, die euren Geschmack für Schönes oder modisches Konzeptuelles schmeichelt, dann geht weiter. Aber wenn ihr bereit seid, euch einer Malerei zu stellen, die euch ebenso anschaut wie ihr sie, die euch zu eurer eigenen Existenz befragt und euch zu einer echten ästhetischen und existenziellen Erfahrung einlädt, dann verdient Ma Kes Werk eure volle Aufmerksamkeit. Denn was er uns bietet, sind nicht nur Gemälde zum Betrachten, sondern ein Raum zum Denken, Fühlen und voll Leben.

Ma Ke lebt und arbeitet weiterhin in Peking und verfolgt unermüdlich seine malerische Suche. Sein Werk, das im Westen noch zu wenig bekannt ist, verdient es in vollem Umfang entdeckt und bedacht zu werden, nicht als eine exotische Kuriosität aus dem Osten, sondern als eine der authentischsten und tiefgründigsten Stimmen der zeitgenössischen Weltmalerei.


  1. Nabokov, Vladimir. Littératures. Fayard, 1985.
  2. Cioran, Emil. Der böse Demiurg. Gallimard, 1969.
  3. Sloterdijk, Peter. Die unendliche Mobilisierung. Christian Bourgois, 2000.
  4. Jankélévitch, Vladimir. Das Je-weiß-ich-was und das Fast-nichts. Seuil, 1980.
  5. Jung, Carl Gustav. Die Wurzeln des Bewusstseins. Buchet/Chastel, 1971.
  6. Deleuze, Gilles und Guattari, Félix. Tausend Plateaus. Éditions de Minuit, 1980.
  7. Klee, Paul. Theorie der modernen Kunst. Gallimard, 1998.
  8. Giacometti, Alberto. Schriften. Hermann, 1990.
  9. Smith, Karen. Kuratorin der Ausstellung Ma Ke, “Life Most Intense”, bei Platform China, Peking, 20. April bis 2. Juni 2012.
  10. Cheng, François. Leer und voll: die chinesische Bildsprache. Seuil, 1991.
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Referenz(en)

MA Ke (1970)
Vorname: Ke
Nachname: MA
Weitere Name(n):

  • 马轲 (Vereinfachtes Chinesisch)
  • 馬軻 (Traditionelles Chinesisch)

Geschlecht: Männlich
Staatsangehörigkeit(en):

  • China, Volksrepublik

Alter: 55 Jahre alt (2025)

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