Hört mir gut zu, ihr Snobs: wenn ihr noch nach figurativer Malerei sucht, die euch nur freundlich von ihrer weißen Wand anblickt, dann geht weiter. Maja Ruznic ist nicht hier, um euren Bedarf an visuellem Komfort zu schmeicheln. Diese in New Mexico beheimatete Künstlerin erschafft Welten, in denen sich Figuren auflösen, Farben wie lebendige Organismen atmen und jede Leinwand als Portal zu psychischen Territorien dient, die die meisten von uns lieber unerforscht lassen würden. Ihre mit verdünntem Öl gemalten Bilder rufen gleichzeitig die Schrecken des Krieges, die Geheimnisse des slawischen Schamanismus und diese besondere Melancholie hervor, die diejenigen erfasst, die Entwurzelung erlebt haben. Gezeigt auf der Whitney Biennale 2024 und vertreten in den Sammlungen des Musée d’Art Moderne in Paris, des MoMA in San Francisco und des Whitney Museum, etabliert sich Ruznic heute als wesentliche Stimme der zeitgenössischen Malerei.
Die aktive Imagination: Dialog mit inneren Geistern
Was bei Ruznic zunächst beeindruckt, ist ihre Methode. Die Künstlerin arbeitet nicht mit Skizzen oder Fotografien. Sie gießt verdünnte Farbe auf die Leinwand und wartet. Sie beobachtet die Flecken stundenlang beim Trocknen, bis sich Formen aus dem chromatischen Chaos herauskristallisieren. Dieser Ansatz gründet sich theoretisch auf ein von dem Schweizer Psychiater Carl Jung zwischen 1913 und 1916 entwickeltes Konzept: die aktive Imagination [1]. Jung definierte diese Methode als einen Prozess, der bewusste und unbewusste Anteile miteinander kommunizieren lässt, eine Meditationstechnik, bei der sich Inhalte des Unbewussten in Bildern ausdrücken oder als eigenständige Wesenheiten personifizieren.
Ruznic praktiziert diese Technik ausdrücklich in ihrem kreativen Prozess. Sie erklärt, viel aktive Imagination zu machen, diese von Jung entwickelte Methode, bei der man beobachtet, wie Bilder im Körper auftauchen und sie den Weg weisen lässt [2]. Diese Aussage verankert Ruznics malerische Praxis direkt in einer psychoanalytischen Tradition, in der Malerei zum Werkzeug zur Erforschung des Unbewussten wird. Jede Leinwand funktioniert wie eine Therapiesitzung, eine Konfrontation mit dem, was Jung den Schatten nannte.
Die Figuren, die Ruznics Bilder bevölkern, sind keine Porträts im klassischen Sinn. Es sind Archetypen, Manifestationen tiefer psychischer Kräfte. In The Arrival of Wild Gods (2022), einem monumentalen Triptychon, erkennt man humanoide Formen, die scheinbar aus einer violett-grünen Fruchtblase auftauchen. Diese Figuren besitzen keine definierten Gesichtszüge. Sie schweben in einem unbestimmten Raum, als würden sie darauf warten, dass unser Blick ihnen Gestalt verleiht. Genau hierin liegt die Kraft der aktiven Imagination: Sie legt keine feste Bedeutung auf. Sie lädt die Betrachterin ein, ihre eigenen unbewussten Inhalte auf der Leinwand zu projizieren.
Ruznics Ansatz unterscheidet sich grundlegend von der traditionellen gegenständlichen Darstellung. Ihre wiederkehrenden Figuren, der Mann mit dem Schnurrbart, der den Vater symbolisiert, den sie nie kennenlernte, die Sonnenblume, die ihre Mutter repräsentiert, und die Figur mit dem verformten Fuß, die die Künstlerin selbst verkörpert, sind keine Individuen, sondern psychische Konstellationen. Sie erscheinen, verwandeln sich, verschmelzen und trennen sich im Verlauf der Gemälde und imitieren so die Dynamiken des Unbewussten selbst.
Die malerische Technik verstärkt diese psychologische Dimension. Indem Ruznic ihre Farbe stark mit Leinöl und Wachs verdünnt, schafft sie durchscheinende Schichten, die das Gewebe des rohen Leinens sichtbar lassen. Diese Transparenz macht Jung’s Idee sichtbar, dass das Unbewusste ständig unter der Oberfläche des Bewusstseins durchscheint. Man sieht buchstäblich durch die Formen hindurch, als wären die Figuren nie ganz präsent, stets im Entstehen oder Verschwinden begriffen.
In The Helpers II (2023-24), einem Werk, das von tiefen Grüntönen und aquatischen Violettschattierungen dominiert wird, umgeben ein Dutzend Gesichtsprofile eine weibliche Figur mit ausgebreiteten Armen. Über ihr schwebt eine Form, die ein Kronleuchter oder ein umgedrehter Kopf mit langen Haaren sein könnte. Diese Komposition erinnert an Fürbitterrituale zwischen der materiellen und der geistigen Welt. Die im Titel genannten Helfer sind keine Engel im christlichen Sinn, sondern Schutzfiguren aus älteren Kosmologien, solche Wesen, die Jung als Projektionen des Archetyps des Selbst identifiziert hätte.
Ruznics tägliche Praxis ähnelt selbst einem schamanischen Ritual. Sie beginnt ihre Tage mit ein bis zwei Stunden Wanderung durch die Wüste Neu-Mexikos, um ihren Körper mit Sauerstoff zu versorgen. Danach praktiziert sie kurze Meditationen und Sitzungen der aktiven Imagination. Erst nach dieser Vorbereitung widmet sie sich den großen Leinwänden. Aktive Imagination erfordert einen besonderen Bewusstseinszustand, weder völlig wach noch schlafend, ein Zustand kontrollierter Tagträume. Die langen Stunden, die Ruznic damit verbringt, ihre Werke einfach anzuschauen, sind ein integrierter Bestandteil dieses Prozesses.
Diese therapeutische Dimension erklärt, warum so viele Menschen vor Ruznics Gemälden weinen. Während ihrer Ausstellung im Harwood Museum im Jahr 2021 berichteten mehrere Besucher von intensiven emotionalen Reaktionen. Diese Tränen zeugen von einer Anerkennung, einer Begegnung mit psychischen Inhalten, die die Betrachter in sich tragen, ohne es zu wissen. Die aktive Imagination wirkt: sie macht das Unsichtbare sichtbar, personifiziert das Unpersönliche, formt das innere Chaos.
Das Atmen der Farbe: Rothkos Erbe
Während die aktive Imagination nach Jung die Methode liefert, verleiht Mark Rothko Ruznic ihre grundlegende malerische Sprache. Ruznic erzählt, sie habe eine Rothko-Raum in der Tate Modern gesehen, ein Erlebnis, das sie tief beeindruckte. Was sie an diesem Tag sah, war das Gewebe des rohen Leinens durch die dünnen Farbschichten [3]. Diese Vision veränderte ihre Praxis für immer. Sie beschloss, ihre Leinwände nie mehr mit Pigment zu überladen, denn überschüssige Farbe verdeckt die Atmung des Untergrunds.
Dieser Begriff der Atmung ist entscheidend. Für Rothko wie für Ruznic ist die Leinwand kein einfaches, unbelebtes Trägermaterial. Es ist ein lebendiger Organismus. Wenn man das Gewebe des Stoffs sehen kann, scheint die Farbe mit dem Betrachter zu atmen. Rothko wollte, dass seine Bilder in Augenhöhe, bei gedämpftem Licht und in kurzer Entfernung zum Betrachter aufgehängt werden. Er strebte die vollständige Umhüllung des Sichtfelds an. Ruznic verfolgt dasselbe Ziel, fügt jedoch eine gegenständliche Dimension hinzu, die Rothko 1947 aufgegeben hatte.
Die Color Field Malerei, eine Bewegung, bei der Rothko in den 1950er Jahren zusammen mit Barnett Newman und Clyfford Still einer der Pioniere war, basierte auf weiten Flächen reiner Farbe, die ununterbrochene Ebenen schufen [4]. Diese Maler lehnten es ab, dass Farbe zur Darstellung erkennbarer Gegenstände dient: Sie wurde selbst zum Inhalt des Bildes, zum einzigen Daseinszweck. Ruznic vollzieht eine kühne Synthese zwischen Color Field und Figuration. Ihre Hintergründe funktionieren wie Rothkos Felder, atmosphärische Flächen gesättigter Farbe, die zu pulsieren scheinen mit eigener Energie. Aber anders als Rothko lässt sie aus diesen Feldern fast menschliche Formen hervortreten.
In Azmira & Maja (2023-24), einem monumentalen Gemälde von 230 mal 180 Zentimetern, das sich inzwischen in der Sammlung des Musée d’Art Moderne de Paris befindet, stehen eine Mutter und ein Kind vor einer gelb-grünen, nebligen Landschaft. Der Hintergrund ist kein Dekor. Er ist eine emotionale Präsenz, ebenso stark wie die beiden menschlichen Figuren. Dieses besondere Grün erinnert für Ruznic an Bosnien, ihr Heimatland, das sie im Alter von neun Jahren während des Krieges verließ.
Die Farbe funktioniert bei Ruznic als persönliches symbolisches System. Jeder Farbton steht für einen Ort, eine Person, eine Stimmung. Ultramarinblau gemischt mit Titandioxidweiß und Kobaltblau schafft für sie eine psychische Öffnung. Grün und Gelb führen sie zurück nach Bosnien, zu dem minzgrünen Haus ihrer Kindheit. Diese Assoziationen wurzeln im Körpergedächtnis. Die Farbe wirkt direkt auf das Nervensystem des Betrachters, umgeht den Intellekt und berührt etwas Älteres und Tieferes.
Rothko selbst betonte die emotionale Dimension seiner Arbeit. Er interessierte sich nicht für die Beziehungen zwischen Farben oder Formen, sondern ausschließlich für den Ausdruck grundlegender menschlicher Emotionen. Ruznic teilt genau diese Überzeugung. Ihre Gemälde sind keine formalen Übungen. Sie sind emotionale Portale. Der Unterschied ist, dass Rothko jede Figuration als Hindernis für reine Emotion ansah, während Ruznic glaubt, dass die gespenstischen und semi-abstrakten Figuren, die sie hervorruft, ebenso viel emotionale Ladung tragen können wie Rothkos schwebende Rechtecke.
In The Child’s Throat (2024) setzt Ruznic warme Brauntöne, üppige Grüntöne und ein elektrisches Blau nebeneinander, das an Laser erinnert, die durch einen Dschungel schneiden. Die länglichen, eng aneinander gedrängten Figuren erinnern oberflächlich an Gustav Klimt. Aber wo Klimt dekorierte, stört Ruznic. Im Zentrum der Komposition befindet sich eine Kinderfigur mit nach hinten geneigtem Kopf, umgeben von schlaksigen Geistern. Es ist ein Bild von Opferbereitschaft und absoluter Verletzlichkeit. Die geniale Leistung ist, dass diese wunderschönen Farbharmonien einen zutiefst verstörenden emotionalen Inhalt tragen.
Hin zu einer Malerei der Schwelle
Es wird offensichtlich beim Betrachten des Werks von Maja Ruznic: Wir stehen vor einer Künstlerin, der gelungen ist, was nur wenige zeitgenössische Maler zu wagen überhaupt versuchen. Sie hat eine visuelle Sprache geschaffen, die die großen modernistischen Traditionen ehrt und zugleich über sie hinausgeht, die die therapeutische und spirituelle Dimension der Kunst ernst nimmt, ohne in leeren Mystizismus abzurutschen, die Figuration annimmt, ohne die Errungenschaften der Abstraktion aufzugeben.
Die Synthese, die Ruznic zwischen der aktiven Imagination von Jung und dem Erbe Rothkos vollzieht, ist kein eklektischer Collage geistiger Referenzen. Es ist eine existentielle Notwendigkeit. Für eine Künstlerin, die Krieg, Exil und Entwurzelung erlebt hat, die zwischen neun und zwölf Jahren in österreichischen Flüchtlingslagern gelebt hat, kann Malerei kein bloßes formales Spiel sein. Sie muss eine Überlebenssprache sein, eine Art, Dinge zu bearbeiten, für die sie keine Worte hatte. Die aktive Imagination liefert ihr die Methode, um in diese traumatischen Zonen einzutauchen, ohne darin zu ertrinken. Die Lektion von Rothko gibt ihr die Mittel, diese Tauchgänge in visuelle Erfahrungen zu übersetzen, die direkt das Nervensystem des Betrachters berühren.
Was das Werk von Ruznic heute besonders relevant macht, ist, dass es die Leichtigkeit eines direkten politischen Engagements ablehnt und dennoch tief politisch bleibt. Ihre Gemälde prangern nicht explizit den Krieg in Bosnien an. Sie illustrieren nicht die Schrecken der erzwungenen Vertreibung. Im Gegenteil, sie tauchen uns in den psychischen Zustand von Trauma, Verlust und zerbrochener Erinnerung ein. Und paradoxerweise macht diese indirekte Herangehensweise die Erfahrung universell zugänglich. Ihre Geister sind nicht nur die der Balkankriege. Es sind die Geister, die wir alle tragen: unsere verstorbenen Eltern, unsere fragmentierten Identitäten, unsere zerbrochenen Hoffnungen und unsere Kindheitsängste.
Ruznics Entscheidung, sich 2017 in der Wüste von New Mexico niederzulassen, erscheint rückblickend als eine ästhetische und existenzielle Wahl von bemerkenswerter Genauigkeit. Diese trockene Landschaft mit ihrer intensiven Leuchtkraft, ihrer rauen Vegetation, ihrer komplexen Geschichte kolonialer Gewalt und indigener Resilienz bietet das geografische Gegenstück zu ihrem künstlerischen Projekt. Es ist ein Land der Schwellen, ein liminaler Raum, in dem die Grenzen zwischen Leben und Tod, Sichtbarem und Unsichtbarem, Materiellem und Spirituellem verschwimmen. Ruznic malt Schwellen. Ihre Figuren wohnen im Dazwischen. Sie sind weder ganz abstrakt noch wirklich figurativ. Sie sind weder lebendig noch tot. Sie befinden sich in diesem Zwischenzustand, den Anthropologen als Liminalität bezeichnen.
Wenn ihre Figuren verschwommen bleiben, wenn ihre Konturen zerfließen, dann weil sie die Textur von Erinnerung und Unbewusstem selbst malt. Traumatische Erinnerungen sind nie klar. Sie kehren in Fragmenten zurück, durch diffusen Empfindungen, durch Farben und Stimmungen statt durch kohärente Erzählungen. Ruznics Ästhetik ist eine Epistemologie des Traumas, eine Erkenntnistheorie, die auf das zugeschnitten ist, was nicht klar erkannt, sondern nur verschwommen gefühlt werden kann.
In unserer von Bildern überfluteten Zeit, in der jede Sekunde Tausende scharfer und präziser Fotografien entstehen, in der medizinische Bildgebung jeden Millimeter unseres Körpers kartografieren kann, in der digitale Überwachung vermeintlich alles sieht und aufzeichnet, ist Ruznics neblige und unsichere Malerei ein Akt ästhetischen Widerstands. Sie behauptet, dass es Realitäten gibt, die hohe Auflösung nicht erfassen kann, Wahrheiten, denen nur die Technik der “betrunkenen Hand” nahekommen kann.
Die Zukunft wird zeigen, ob Maja Ruznic in das Pantheon der großen Maler des 21. Jahrhunderts eingehen wird. Aber was wirklich zählt, ist, dass sie bereits etwas Essentielles vollbracht hat. Sie hat gezeigt, dass Malerei noch ein Werkzeug authentischer psychischer Erforschung sein kann, eine Brücke zwischen den Toten und den Lebenden, zwischen Bewusstem und Unbewusstem, zwischen historischer Katastrophe und der Möglichkeit der Erlösung. In einer Welt, die von Oberflächlichkeit und Instantaneität lebt, bietet uns Maja Ruznic Bilder, die Zeit verlangen, die lange Kontemplation belohnen, die sich vertiefen statt zu erschöpfen. Das ist bereits ein beträchtlicher Sieg.
- Carl Gustav Jung, Die gesammelten Werke von C.G. Jung, Band 8: Die Struktur und Dynamik der Psyche, Princeton University Press ; Barbara Hannah, Begegnungen mit der Seele: Aktive Imagination, entwickelt von C.G. Jung, Chiron Publications, 1981.
- Maja Ruznic, Interview mit The Creative Independent, 2025.
- Maja Ruznic, zitiert in Claudia Cheng, “The Art of Maja Ruznic, Mutterschaft und Meditation”, 2020.
- Irving Sandler, Abstrakter Expressionismus: Der Triumph der amerikanischen Malerei, Harper & Row, 1970.
















