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Qiu Ruixiang: Der Maler chinesischer Schattenbilder

Veröffentlicht am: 14 Januar 2025

Von: Hervé Lancelin

Kategorie: Kunstkritik

Lesezeit: 4 Minuten

Qiu Ruixiang (邱瑞祥) pflegt eine Ästhetik von Schatten und Einsamkeit. Seine gequälten Figuren, gefangen in beengten Räumen, tragen die unsichtbare Last unserer zeitgenössischen Existenz mit seltener Intensität in der heutigen Kunst.

Hört mir gut zu, ihr Snobs. Während ihr bei euren Vernissagen mit lauwarmem Champagner protzt, gibt es einen Künstler, der sich entschieden hat, sich ein ganzes Jahrzehnt lang in seinem Atelier zu vergraben. Qiu Ruixiang, geboren 1980 in Shaanxi, gehört nicht zu denjenigen, die gefallen wollen oder sich den Diktaten des zeitgenössischen Kunstmarkts beugen.

In einer Welt, in der Künstler sich auf sozialen Netzwerken abmühen, ihr Image zu pflegen, hat Qiu die radikale Entscheidung zur Isolation getroffen. Von 2003 bis 2013 schloss er sich in seinem Atelier in Xi’an ein, malte Tag für Tag, Jahr für Jahr, wie ein Zen-Mönch, der seine Sutras gegen Pinsel getauscht hat. Dieser freiwillige Rückzug erinnert an Heideggers Konzept der Kunst als Ort der Offenbarung der Wahrheit. Für Heidegger ist das Kunstwerk kein bloß ästhetisches Objekt, sondern ein Ereignis, bei dem sich die Wahrheit entfaltet. Qiu verkörpert diese Suche nach Wahrheit in seiner asketischen Praxis, fernab von Scheinwerfern und dem Lärm der Kunstwelt.

Seine Leinwände sind von einsamen Figuren bevölkert, oft männlich, die unsichtbare Lasten in engen und dunklen Räumen tragen. Diese Silhouetten rufen den Mythos des Sisyphos wach, wie ihn Albert Camus neu interpretierte. Aber wo Camus in der wiederholten Arbeit des Sisyphos eine Form freudiger Revolte sah, scheinen die Figuren von Qiu von tiefer Melancholie gefangen zu sein, als trügen sie die Last des Daseins selbst. Walter Benjamin sprach vom Aura des Kunstwerks als der einzigartigen Erscheinung einer Ferne, so nah sie auch sein mag. Qius Gemälde besitzen diese besondere Aura, diese geisterhafte Präsenz, die uns an unsere eigene existentielle Einsamkeit erinnert.

Die Farbpalette des Künstlers ist ebenso düster wie die Tiefen der menschlichen Psyche. Seine kühlen Alizarintöne und matschigen Grautöne schaffen eine bedrückende Atmosphäre, die an Goyas “Black Paintings” erinnert. Aber im Gegensatz zu Goya, der die Dämonen der Gesellschaft malte, erforscht Qiu die inneren Dämonen, die in uns allen wohnen, die wir aber lieber ignorieren. Seine Figuren mit ihren verzerrten Proportionen, den übergroßen Händen und Füßen, erinnern weniger an eine anatomische Analyse als an eine Dissektion der menschlichen Seele.

Diese Erforschung der Innerlichkeit erinnert an die Überlegungen von Maurice Merleau-Ponty zur Phänomenologie der Wahrnehmung. Für den französischen Philosophen ist der Körper kein bloßes Objekt im Raum, sondern das Vehikel unseres Seins in der Welt. Die Figuren von Qiu verkörpern in ihrer übertriebenen Körperlichkeit diese Spannung zwischen dem In-der-Welt-Sein und dem Wunsch nach Rückzug in sich selbst. Ihre Haltung, oft unter dem Gewicht einer unsichtbaren Last gekrümmt, drückt eine Form passiven Widerstands gegen die von der modernen Gesellschaft auferlegte Vertikalität aus.

Wenn einige Kritiker in seiner Arbeit eine Art Regression zu einem überholten Expressionismus sehen, übersehen sie das Wesentliche. Qiu versucht nicht, sich in eine bestimmte malerische Tradition einzufügen oder die zeitgenössische Malerei zu revolutionieren. Sein Vorgehen ähnelt vielmehr dem eines Archäologen der menschlichen Seele, der immer tiefer in die Schichten unserer kollektiven Psyche gräbt. Wie Gaston Bachelard in “La Poétique de l’espace” schrieb: “Das poetische Bild unterliegt keinem Druck. Es ist kein Echo einer Vergangenheit. Vielmehr ist es umgekehrt: Durch das Leuchten eines Bildes hallt die ferne Vergangenheit wider, und man sieht kaum, in welche Tiefe diese Echos sich ausbreiten, reflektieren und verklingen.”

Die Gemälde von Qiu hallen genau von diesen Echos wider. Seine anonymen Figuren, gefangen in klaustrophobischen Räumen, spiegeln unsere eigene Bedingung als in den unsichtbaren Strukturen der zeitgenössischen Gesellschaft Eingeschlossene wider. Seine beharrliche Ablehnung der Codes des Kunstmarkts, seine freiwillige Isolation, seine malerische Technik, die das Aufreißen und Abblättern der Farbe zulässt, all das stellt eine stille, aber unerbittliche Form des Widerstands gegen die Kommerzialisierung der Kunst dar.

Die Materialität seiner Werke selbst, mit ihren dicken Pastosen und ihren gequälten Oberflächen, zeugt von einem physischen Kampf mit dem Medium. Jedes Gemälde ist das Ergebnis eines handfesten Kampfes mit der Farbe, der an Georges Didi-Hubermans Überlegungen zur Dialektik der Bilder erinnert. Für ihn ist das Bild keine bloße Darstellung, sondern ein Schlachtfeld, auf dem widersprüchliche Kräfte aufeinandertreffen. Die Bilder von Qiu sind genau das: Schlachtfelder, auf denen Licht und Dunkelheit, Präsenz und Abwesenheit, Schwere und Leichtigkeit aufeinandertreffen.

Ihr könnt euch weiterhin an sterile Konzeptinstallationen oder sinnleere Performances erfreuen. Währenddessen setzt Qiu Ruixiang in seinem Atelier in Xi’an seine hartnäckige Erforschung der Tiefen der menschlichen Seele fort und schafft Werke, die im Gegensatz zu so vielen anderen der Zeit standhalten werden. Nicht weil sie modern sind oder den Erwartungen des Marktes entsprechen, sondern genau weil sie sich nicht darum kümmern. Sein authentisches und tief persönliches Vorgehen ist ein Akt des Widerstands, der Respekt erzwingt.

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Referenz(en)

QIU Ruixiang (1980)
Vorname: Ruixiang
Nachname: QIU
Weitere Name(n):

  • 邱瑞祥 (Vereinfachtes Chinesisch)

Geschlecht: Männlich
Staatsangehörigkeit(en):

  • China, Volksrepublik

Alter: 45 Jahre alt (2025)

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