Hört mir gut zu, ihr Snobs, Raymond Pettibon ist nicht der Typ, der euch an der Hand nimmt, wenn er durch die amerikanische Landschaft führt. Er stößt euch in seine stürmischen Gewässer und lässt euch zurechtkommen, zwischen seinen monströsen Wellen und seinen tintenartigen Zeichnungen, die scharf wie Rasierklingen sind. Wenn ihr Kunst sucht, die euch liebkost und beruhigt, geht weiter.
1957 geboren, als Sohn eines Englischlehrers, der Spionageromane schrieb, wuchs er in der drückenden Hitze Südkaliforniens auf, atmete die salzige Luft von Hermosa Beach ein und sog Comics, Fernsehen, Literatur und Punkkultur auf. Das Reagan-Amerika diente ihm als künstlerischer Boxsack, und wir alle sind seine erstaunten Zuschauer. Mit seinem mal feinen, mal entfesselten Strich bietet uns Pettibon seit über vierzig Jahren eine kompromisslose Anatomie der amerikanischen Seele.
Seine Zeichnungen in schwarzer Tusche, manchmal mit Farbakzenten hervorgehoben, schwanken zwischen Erhabenem und Groteskem, zwischen Poesie und Gewalt. Doch vielleicht findet Pettibon seine stärkste Triebfeder in seiner Beziehung zur Nietzsche’schen Philosophie. In diesem monumentalen und fragmentarischen Werk findet man denselben Willen zur Macht, denselben radikalen Skeptizismus gegenüber zeitgenössischen Idolen wie bei dem deutschen Philosophen. Wenn Nietzsche in Die fröhliche Wissenschaft schreibt, dass “nicht der Zweifel, sondern die Gewissheit den Menschen verrückt macht” [1], könnte er damit die Wirkung beschreiben, die Pettibons Werke auf den Betrachter ausüben.
Sehen Sie sich seine winzigen Surfer an, die riesigen Wellen trotzen! Diese fast opferhaften Gestalten angesichts der unermesslichen Ozeanweite sind doch die perfekte Illustration des nietzscheanischen Übermenschen, oder? “Was mich nicht umbringt, macht mich stärker”, erinnert uns der deutsche Philosoph, und diese Surfer, ebenso wie der Künstler selbst, versuchen, die Kräfte zu reiten, die sie vernichten könnten. In No Title (As to Me) von 2015 droht die monströse blaue Welle, die fragile Silhouette des Surfers zu verschlingen, die lebendige Verkörperung dieses Kampfes zwischen Mensch und übermächtigen Kräften.
Diese Wiederaufnahme des nietzscheanischen Konzepts des Willens zur Macht äußert sich auch in Pettibons Entscheidung, Symbole der amerikanischen Kultur zu übernehmen und umzudeuten. Seine Zeichnungen dekonstruktieren unermüdlich die nationale Ikonographie, zerschmettern soziale und politische Gewissheiten. Das ist das, was Nietzsche die “Umwertung aller Werte” [2] nennt, jene notwendige Umkehrung der Idole, um eine neue Schöpfung zu ermöglichen.
Die Philosophie Nietzsches spiegelt sich ebenfalls in Pettibons fragmentarischem und aphoristischem Ansatz wider. Seine Zeichnungen, begleitet von rätselhaften Texten, funktionieren wie blitzartige Gedankenblitze und verweigern die konventionelle narrative Kohärenz. Diese bewusste Fragmentierung erinnert an Nietzsches Schreibstil, bestehend aus Erleuchtungsmomenten statt geschlossenen Systemen. Die Texte, die Pettibons Bilder begleiten, sind niemals Erklärungen, sondern Intensivierungen des Geheimnisses.
Diese Ästhetik des Fragments teilt Pettibon mit einem anderen Giganten der amerikanischen Literatur: Walt Whitman. Der Dichter von Leaves of Grass, mit seinem freien Vers und seiner Feier des Körpers und der sinnlichen Erfahrung, erklingt tief im Werk Pettibons. Wie Whitman, der schrieb: “Ich bin weit, ich umfasse Vielheiten” [3], weigert sich Pettibon, sich auf eine einzige Identität oder einen einzigen Stil festlegen zu lassen. Seine Zeichnungen enthalten Vielheiten von Bezügen, Stimmen und Zeitlichkeiten.
Pettibons Beziehung zur amerikanischen Literatur geht weit über bloßes Zitieren hinaus. Er illustriert Whitman nicht nur, sondern integriert ihn in seine künstlerische Vision, verwandelt dessen Worte in Waffen gegen das zeitgenössische Amerika. Wenn Whitman Amerika und seine unendlichen Möglichkeiten besingt, nutzt Pettibon diesen Gesang, um die zerbrochenen Versprechen des amerikanischen Traums zu zeigen. Diese Spannung zwischen Feier und Kritik, typisch für Whitman, wird bei Pettibon zu einer ästhetischen und politischen Strategie.
Whitmans Feier des Körpers findet einen perversen Widerhall in Pettibons erotischen Zeichnungen, in denen Sexualität als eine gleichzeitig befreiende und zerstörerische Kraft erscheint. “Wenn etwas heilig ist, dann ist es der menschliche Körper”, schrieb Whitman [4], und Pettibon scheint zu antworten: ja, aber dieser Körper ist auch der Ort aller Konflikte, aller politischen und sozialen Gewalttaten.
Pettibons Werk teilt mit dem von Whitman die Fähigkeit, Widersprüche zu enthalten, gleichzeitig kritisch und mitfühlend zu sein. Wenn er Charles Manson oder Drogenabhängige zeichnet, stellt sich Pettibon niemals in eine moralisch überlegene Position. Er präsentiert seine Themen in ihrer ganzen Komplexität und lehnt vereinfachende Urteile ab. Dieser Ansatz erinnert daran, wie Whitman in seinem Gedicht “Der Schläfer im Tal” (eine amerikanische Neuinterpretation des berühmten Gedichts von Rimbaud) die Körper der im Bürgerkrieg gefallenen Soldaten mit Zärtlichkeit und Horror betrachtete.
Wie der Dichter, der sich selbst als “ein Kosmos, der Sohn Manhattans” [5] betrachtete, ist Pettibon ein besessener Kartograf Amerikas. Seine Zeichnungen bilden einen subjektiven und halluzinogenen Atlas des Landes, von seinen Gründungsmythen bis hin zu seinen gegenwärtigen Albträumen. Er zeichnet Amerika so, wie Whitman es sang, mit einer Mischung aus Liebe und Verzweiflung, und erkennt sowohl seine Schönheit als auch seine Monstrosität an.
Diese Whitmansche Kartographie setzt sich in der Darstellung der amerikanischen Räume durch Pettibon fort. Seine riesigen Wellen rufen nicht nur den Pazifischen Ozean hervor, sondern auch das Gefühl von Weite, das Whitman angesichts der Prärien und Berge empfand. Die Natur ist bei Pettibon ebenso wie bei Whitman niemals nur eine einfache Kulisse: Sie ist eine lebendige, manchmal bedrohliche Präsenz, mit der der Mensch seinen Platz aushandeln muss.
Der Einfluss Whitmans zeigt sich sogar in Pettibons Auffassung seiner Rolle als Künstler. Wie der Dichter, der “der Erzieher der Barbaren” [6] sein wollte, sieht sich Pettibon als Zeugen seiner Zeit, als Chronist des gegenwärtigen Amerikas. Seine Zeichnungen, wie Whitmans Gedichte, bieten eine ästhetische und politische Bildung und laden den Betrachter ein, den Widersprüchen der amerikanischen Gesellschaft ins Gesicht zu sehen.
Diese Zeugenschaftsposition ist niemals komfortabel. Pettibon weiß, wie Whitman vor ihm, dass er Teil dessen ist, was er kritisiert. Es gibt keine äußere Position, keinen Elfenbeinturm, von dem aus man die Welt beurteilen könnte, ohne selbst involviert zu sein. Diese schmerzliche Klarheit verleiht Pettibons Werk seine besondere Kraft.
Das Erbe der kalifornischen Punk-Szene der 1980er Jahre ist in Pettibons Werk ebenfalls sichtbar. Seine Arbeit für die Band Black Flag (deren Gründer sein Bruder Greg Ginn war) definierte die visuelle Ästhetik des Hardcore-Punks. Doch Pettibon distanzierte sich stets von dieser Bewegung und weigerte sich, auf den bloßen Illustrator von Flyern und Albumcovern reduziert zu werden. Er verwandelte diese Punk-Energie in eine persönliche künstlerische Sprache, die eine komplexe Sicht auf die zeitgenössische Welt ausdrücken kann.
Beeindruckend an der Entwicklung seines Werks ist seine Fähigkeit, seinen Ursprung treu zu bleiben und gleichzeitig seinen visuellen Wortschatz und seine thematischen Anliegen ständig zu erweitern. Surfer, Baseballspieler, politische Gewalt, zweifelhafte Sexualität: Diese wiederkehrenden Motive werden im Laufe der Jahrzehnte mit immer größerer Tiefe behandelt. Pettibon ist wie jene Wellen, die er unaufhörlich zeichnet: stets in Bewegung, stets erneuert, niemals erschöpft.
Sein Zeichnungsansatz ist von seltener Freiheit geprägt. Er kann von einer minutiösen, fast akademischen Linie zu ungebändigten expressionistischen Gesten wechseln. Diese technische Spannweite spiegelt seine Ablehnung enger Kategorien wider. Pettibon ist weder ein elitären Künstler noch ein Künstler für das breite Publikum: Er navigiert frei zwischen diesen Welten und entnimmt jedem das, was seinem Anliegen dient. Damit erfüllt er Whitmans Wunsch nach einer Poesie, die weder elitär noch populistisch, sondern einfach menschlich ist.
Die Integration von Text in seine Zeichnungen stellt eine seiner bedeutendsten Innovationen dar. Diese Satzfragmente, diese umgedeuteten Zitate, diese rätselhaften Kommentare sind keine erklärenden Bildunterschriften, sondern konstitutive Elemente des Werkes. Sie schaffen einen Spannungsraum zwischen dem Visuellen und dem Verbalen, zwischen dem, was gezeigt wird, und dem, was gesagt wird. Dieser komplexe Dialog zwischen Text und Bild macht jede Zeichnung von Pettibon sowohl zu einem Leseerlebnis als auch zu einem visuellen Erlebnis.
Die literarischen Referenzen, die sein Werk bevölkern, gehen weit über Whitman hinaus. James Joyce, Henry James, Marcel Proust, William Blake: Pettibon schöpft frei aus dem westlichen Kanon und verwandelt diese angesehenen Stimmen in einen dissonanten Chor, der seine Visionen einer zerfallenden Amerika begleitet. Diese Gelehrsamkeit ist nie pedantisch: Sie dient der Erforschung der Schattenzonen der amerikanischen Psyche.
Die kritische Rezeption seines Werkes hat sich im Laufe der Zeit erheblich entwickelt. Zunächst als einfacher Illustrator aus der Punkszene marginalisiert, wurde Pettibon allmählich als einer der wichtigsten amerikanischen Künstler seiner Generation anerkannt. Seine Retrospektive im New Museum im Jahr 2017, “A Pen of All Work”, hat seine historische Bedeutung endgültig bestätigt.
Doch Pettibon bleibt ein schwer fassbarer Künstler, der sich weigert, in die bequemen Erzählungen der Kunstgeschichte eingesperrt zu werden. Wie er selbst sagte: “Die Unterscheidungen zwischen Museen, Galerien, Büchern, Fanzines, High, Low, Comics, Cartoons, kommerzieller Kunst, bildender Kunst sind zu nichts nütze, vor allem wenn sie angewendet werden, um sein Territorium abzustecken oder Leute fernzuhalten” [7]. Diese prinzipielle Haltung erklärt die radikale Freiheit, die sein Werk auszeichnet.
Was die Größe von Pettibon ausmacht, ist seine Fähigkeit, Kunst zu schaffen, die uns mit Wahrheiten konfrontiert, die wir lieber ignorieren würden, und zugleich die Falle des Zynismus vermeidet. Seine Zeichnungen, so düster sie auch sein mögen, enthalten stets einen Funken Menschlichkeit, eine hartnäckige Bindung an die Möglichkeit geteilter Erkenntnis. In einer zunehmend polarisierten Welt, in der Dialog unmöglich scheint, erinnert uns Pettibons Werk daran, dass Kunst weiterhin ein Raum für kritisches Denken und Widerstand sein kann.
Also betrachtet diese monströsen Wellen, diese winzigen Surfer, diese grotesken Politiker, diese umschlungenen Körper, diese Worte, die wie Blitze durch das Bild ziehen. Und denkt daran, dass, wie Pettibon in einer seiner berühmtesten Zeichnungen schreibt: “Kunst ist kein Spiegel, um die Welt zu reflektieren, sondern ein Hammer, um sie zu formen” [8]. Ein Hammer, den Pettibon seit über vierzig Jahren mit verheerender Präzision führt.
- Nietzsche, Friedrich. Die fröhliche Wissenschaft, 1882, Buch 3, Aphorismus 347.
- Nietzsche, Friedrich. Der Antichrist, 1888.
- Whitman, Walt. Grashalme, “Gesang von mir selbst”, 1855.
- Whitman, Walt. Grashalme, “Ich höre Amerika singen”, 1860.
- Whitman, Walt. Grashalme, “Grüße an die Welt!”, 1856.
- Whitman, Walt. Demokratische Perspektiven, 1871.
- Pettibon, Raymond. Interview in Modern Matter, 2015.
- Dieses Zitat ist tatsächlich eine Adaption eines Satzes, der Karl Marx zugeschrieben wird und den Pettibon in einigen seiner Zeichnungen verwendet hat.
















