Hört mir gut zu, ihr Snobs. William Kentridge, geboren 1955 in Johannesburg, ist nicht einfach ein Künstler, der mit Kohl zeichnet. Er ist ein Zauberer, der seine Striche in lebendige Spektakel verwandelt, ein Illusionist, der Schatten auf unsere Wände und unser Bewusstsein tanzen lässt. Seine Werke sind offene Fenster zur Absurdität unserer Welt, Spiegel, die unsere tiefsten Paradoxien reflektieren, Tore zu einer Realität, in der die Vergangenheit sich beharrlich weigert zu verschwinden.
In seinem Atelier in Johannesburg, einer Stadt, die er trotz der Umbrüche der Geschichte nie verlassen hat, orchestriert Kentridge einen ewigen Tanz zwischen dem Fixen und dem Bewegten. Seine charakteristische Technik, bei der er nach jeder Veränderung seine Kohlzeichnungen fotografiert, um Animationen zu schaffen, ist mehr als nur eine technische Meisterleistung. Sie ist eine viszerale Metapher für unsere Unfähigkeit, die Vergangenheit vollständig zu löschen. Jede veränderte Linie hinterlässt eine Spur, einen Geist, der fortbesteht, wie die Narben der Geschichte auf unserer Gegenwart. Diese Methode, die er Ende der 1980er-Jahre entwickelte, ist zu seiner künstlerischen Signatur geworden, eine einzigartige Art, die Bewegung der Zeit und das Fortbestehen der Erinnerung einzufangen.
Nehmen wir seine “Drawings for Projection”, diese Animationsserie, die zwischen 1989 und 2003 entstanden ist. Diese Werke sind keine einfachen Filme. Sie sind psychologische Ausgrabungen, in denen zwei Figuren, Soho Eckstein, der gnadenlose Kapitalist im Nadelstreifenanzug, und Felix Teitlebaum, der träumerische Künstler, oft nackt dargestellt, zu Archetypen einer zerrissenen Gesellschaft werden. Durch diese Figuren erkundet Kentridge die grundlegenden Widersprüche der südafrikanischen Gesellschaft nach der Apartheid: Reichtum und Armut, Macht und Ohnmacht, Erinnerung und Vergessen. Aber er bietet uns keine simple Kritik vom Guten gegen das Böse. Nein, er taucht uns in graue Zonen, in denen Moral schwankt, in denen Sicherheiten wie die Gebäude seiner Animationen einstürzen.
Diese Dualität führt uns zum ersten Thema seines Werks: der ständigen Transformation und der Unmöglichkeit des Vergessens. Walter Benjamin sprach in seinen “Thesen zum Begriff der Geschichte” vom Engel der Geschichte, der in die Zukunft getrieben wird, während er die hinter sich ansammelnden Ruinen betrachtet. Kentridge verkörpert diese Vision perfekt. Seine Animationen sind wie dieser Engel: Sie schreiten unaufhaltsam voran, während sie das Gewicht der Vergangenheit in jedem Kohlenkorn tragen, das sich weigert, vollständig zu verschwinden. Diese visuelle Persistenz wird zu einer kraftvollen Metapher dafür, wie Geschichte weiterhin in unserer Gegenwart wohnt, selbst wenn wir versuchen, sie auszuradieren.
Kentridges Technik wird besonders deutlich in “Mine” (1991), wo er die wörtlichen und metaphorischen Tiefen der südafrikanischen Bergbauindustrie erforscht. Die fließenden Übergänge zwischen Soho Ecksteins luxuriösem Büro und den unterirdischen Stollen, in denen die Bergarbeiter arbeiten, schaffen eine schwindelerregende moralische Geographie. Die Kamera taucht vom gepolsterten Büro in die Tiefen der Erde ein und zeigt die unsichtbaren Verbindungen zwischen dem Komfort der einen und dem Leid der anderen. Kaffeekannen verwandeln sich in Bohrmaschinen, Betten in Schachtanlagen, in einer makabren Choreografie, die die verborgenen Machtstrukturen unter der Oberfläche der Gesellschaft offenlegt.
In “Felix in Exile” (1994) erforscht Kentridge diese Idee mit verheerender Kraft. Die südafrikanischen Landschaften verwandeln sich in topografische Karten, dann in verletzte Körper, dann in davonfliegende Zeitungen. Jede Metamorphose trägt die Spuren dessen, was zuvor war. Es ist Ovid trifft Marx in einem Totentanz, in dem Metamorphose zu einem politischen Akt wird. Die Transformation ist kein Ausweg, sondern eine Form der Verantwortung: Wir sind gezwungen, das zu sehen, was wir vergessen möchten. Die Körper der Opfer politischer Gewalt, gezeichnet von der Figur Nandi, einer Geometern, die die Verbrechen des Regimes dokumentiert, weigern sich zu verschwinden, selbst wenn sie von Zeitungen bedeckt oder vom Regen ausgelöscht werden.
Dieser Ansatz erinnert an die Gedanken von Theodor Adorno, der in “Negative Dialektik” feststellte, dass Kunst Zeugnis vom Unsagbaren ablegen muss, ohne zu versuchen, es direkt darzustellen. Kentridge gelingt dieses Kunststück, indem er Werke schafft, die sowohl spezifisch für Südafrika sind als auch universell resonieren. Er zeigt uns nicht direkt das Grauen der Apartheid, sondern lässt uns ihre Absurdität durch eindrucksvolle visuelle Metaphern spüren. Die Megafone, die regelmäßig in seinem Werk erscheinen, schreien keine politischen Parolen, sondern verbreiten eine Kakophonie von Klängen, die die moralische Verwirrung jener Zeit evoziert.
Das zweite Thema, das sich durch sein Werk zieht, ist das der kollektiven Erinnerung und ihrer Manipulation. In “Ubu Tells the Truth” (1997) greift Kentridge die Figur des Ubu Roi von Alfred Jarry neu auf, um die Mechanismen der südafrikanischen Wahrheits- und Versöhnungskommission zu erforschen. Das Werk wird zu einer scharfen Meditation über die Natur der historischen Wahrheit selbst. Wie kann eine Gesellschaft sich ihrer Vergangenheit stellen, ohne in Verleugnung oder Selbstgeißelung zu verfallen? Die Verwendung der grotesken Figur des Ubu, vermischt mit dokumentarischen Bildern und animierten Sequenzen, schafft einen bissigen Kommentar über die Grenzen der Übergangsjustiz.
Diese Frage führt uns zurück zu Maurice Halbwachs und seiner Theorie der sozialen Rahmen der Erinnerung. Laut ihm werden unsere individuellen Erinnerungen stets von den sozialen Kontexten geprägt, in denen wir leben. Kentridge veranschaulicht diese Idee brillant, indem er zeigt, wie die persönlichen Erinnerungen seiner Figuren ständig mit den großen historischen Erzählungen verflochten sind. In “History of the Main Complaint” (1996) vermischen sich die traumatischen Erinnerungen von Soho Eckstein mit Bildern medizinischer Untersuchungen und schaffen eine kraftvolle Metapher für die südafrikanische Gesellschaft, die versucht, ihre eigenen Leiden zu diagnostizieren. Röntgenaufnahmen, Elektrokardiogramme und Gehirnscans werden zu Werkzeugen, um das kollektive Bewusstsein einer Nation zu erforschen.
Der Körper ist in Kentridges Werk niemals einfach nur ein Körper. Er ist ein Schlachtfeld, auf dem die Gewalt der Geschichte eingeschrieben ist. In “Stereoscope” (1999) erinnert die ständige Verdoppelung der Bilder an die soziale Schizophrenie des post-apartheid Südafrikas. Die blauen Linien, die die verschiedenen Elemente der Animation verbinden, deuten auf elektrische, nervliche, soziale Verbindungen hin und schaffen ein komplexes Netzwerk von Verantwortlichkeiten und Komplizenschaften. Dieses Werk spiegelt die Theorien von Michel Foucault über Macht und den sozialen Körper wider und zeigt, wie Herrschaftsstrukturen in das Fleisch jedes Individuums eingeschrieben sind.
Der Künstler beschränkt sich nicht auf das Zeichnen, er erschafft ganze Universen, in denen Theater, Oper, Skulptur und Animation aufeinandertreffen. Seine Arbeit für Mozarts “The Magic Flute” oder Schostakowitschs “The Nose” zeigt seine Fähigkeit, klassische Werke in zeitgenössische Kommentare über Macht und Absurdität zu verwandeln. Diese Produktionen sind keine bloßen Adaptionen, sondern vollständige Neuerfindungen, bei denen Musik, Bild und Bewegung eine neue Sprache schaffen. Videoprojektionen treten in Dialog mit Sängern, Schatten tanzen mit Musikern und erzeugen ein Gesamtspektakel, das die Grenzen zwischen den künstlerischen Disziplinen überwindet.
In “The Refusal of Time” (2012), einer monumentalen Installation, die in Zusammenarbeit mit dem Physiker Peter Galison entstanden ist, erforscht Kentridge unsere komplexe Beziehung zur Zeit und zum Fortschritt. Eine große atmende Maschine, genannt “der Elefant”, pulsiert im Zentrum des Werkes wie ein mechanisches Herz. Diese Installation verweist auf die Theorien von Henri Bergson zur Dauer und Erinnerung. Für Bergson ist Zeit keine lineare Abfolge von Momenten, sondern eine ständige Durchdringung von Vergangenheit und Gegenwart. Kentridges Animationen, mit ihren persistierenden Spuren und kontinuierlichen Transformationen, verkörpern diese Zeitauffassung perfekt.
Die Maschine selbst wird zur Metapher für die Standardisierung der Zeit in der Kolonialzeit, als europäische Uhren der Rest der Welt aufgedrängt wurden. Die vielen Projektionen um sie herum schaffen eine visuelle Symphonie, in der die Schatten der kolonialen Geschichte mit den zeitgenössischen Ängsten vor technologischem Fortschritt tanzen. Die Figuren, die um die Maschine gehen, laufen oder tanzen, scheinen gleichermaßen frei und Gefangene dieses großen zeitlichen Mechanismus zu sein.
Der Künstler spielt ständig mit verschiedenen Maßstäben und wechselt vom Mikroskopischen zum Monumentalen. Seine Wandteppiche, die in Zusammenarbeit mit dem Stephens Tapestry Studio entstanden sind, verwandeln seine Zeichnungen in beeindruckende textile Kunstwerke. Diese Stücke sind keine bloßen Vergrößerungen, sondern Übersetzungen, die seinen visuellen Erkundungen eine neue Dimension verleihen. Der handwerkliche Prozess der Teppichherstellung, mit seinen verflochtenen Fäden, wird zu einer weiteren Metapher für die Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Traditionelle afrikanische Muster vermischen sich mit Bezügen zur europäischen Kunstgeschichte und schaffen Werke, die kulturelle Grenzen überschreiten.
In “More Sweetly Play the Dance” (2015) setzt Kentridge seine Erkundung der Themen fort, die ihn schon immer beschäftigt haben, jedoch mit einer erneuerten Dringlichkeit. Dieses Videofries zeigt eine Prozession von Silhouetten, die unsichtbare Lasten tragen und im Takt einer Blaskapelle tanzen. Das Werk erinnert sowohl an die mittelalterlichen Totentänze als auch an die Bewegungen zeitgenössischer Flüchtlinge. Die auf Seiten alter Bücher und Zeitungen projizierten Figuren erzeugen einen visuellen Palimpsest, in dem sich persönliche und kollektive Geschichte vermischen. Es ist ein memento mori für unsere Zeit, das uns daran erinnert, dass wir alle in Bewegung, alle verletzlich, alle verbunden sind.
Was Kentridge einzigartig macht, ist, dass er ein fragiles Gleichgewicht zwischen politischem Engagement und reiner Poesie bewahrt. Seine Werke verfallen niemals in die Falle von Propaganda oder Simplizität. Im Gegenteil, sie umarmen Komplexität und Mehrdeutigkeit. Wie er selbst sagt: “Ich interessiere mich für politische Kunst, die Fragen stellt, statt Antworten zu geben.” Dieser Ansatz macht ihn zu einem besonders relevanten Künstler für unsere “Post-Truth”-Epoche, in der vereinfachende Gewissheiten auf die Komplexität der Realität stoßen.
Sein Gebrauch von Kohlestift ist nicht zufällig. Dieses primitive Medium, das aus reinem Kohlenstoff besteht, trägt eine Geschichte in sich, die bis zu den ersten Spuren des Menschen an Höhlenwänden zurückreicht. In Kentridges Händen wird es zu einem Werkzeug, um die Schattenbereiche unseres kollektiven Bewusstseins zu erforschen. Die Spuren, die durch wiederholtes Radieren entstehen, schaffen eine visuelle Schichtung, die an historische Schichten und Schichten der Erinnerung erinnert.
Der Einfluss des Theaters ist in seiner Arbeit allgegenwärtig. Kentridge, der an der École Jacques Lecoq in Paris ausgebildet wurde, versteht die Bedeutung von Bewegung und Gestik. Seine Animationen sind nicht einfach Bildsequenzen, sondern Choreografien, in denen jede Bewegung mit Bedeutung aufgeladen ist. Die Figuren, die seine Werke durchqueren, sind wie Schauspieler in einem zeitgenössischen Schattentheater und tragen die Masken unserer Zeit.
Musik spielt ebenfalls eine wichtige Rolle in seinem Werk. Seine Zusammenarbeit mit dem Komponisten Philip Miller hat Klanglandschaften geschaffen, die die emotionale Kraft seiner Bilder verstärken. Maschinenklänge, Stimmen und fragmentierte Melodien erzeugen einen Soundtrack für die entstehende Geschichte. In seinen Opernproduktionen wird die Musik zu einer eigenständigen Figur, die mit den projizierten Bildern und den Live-Performances in Dialog tritt.
Was im gesamten Werk beeindruckt, ist, dass er eine Kunst schafft, die sowohl zutiefst persönlich als auch universell zugänglich ist. Seine scheinbar einfachen Kohlezeichnungen enthalten ganze Universen von Bedeutung. Jede Linie, jede Ausradierung, jede Transformation wird zu einem Akt des Widerstands gegen das Vergessen und die Gleichgültigkeit. Seine Arbeit erinnert uns daran, dass Kunst sowohl Zeuge der Geschichte als auch Agent der Transformation sein kann.
Während in unserer Welt die Wahrheit immer schwerer zu erkennen ist, wo alte Gewissheiten zusammenfallen und neue Mauern errichtet werden, erinnert uns Kentridges Werk daran, wachsam zu bleiben, unsere Gewissheiten zu hinterfragen und niemals aufzuhören, die Schönheit in der Unvollkommenheit zu suchen. Seine Kunst zeigt uns, dass die Wahrheit oft in den Schattenzonen liegt, in den Spuren unserer Auslöschungsversuche, in den Geistern, die trotz unserer Bemühungen, sie zu vertreiben, bestehen bleiben.
Durch seine Zeichentrickfilme, Installationen und Inszenierungen schafft Kentridge eine Kunst, die einfache Vereinfachungen ablehnt. Er erinnert uns daran, dass wir in einer Welt ständiger Metamorphosen leben, in der nichts je wirklich ausgelöscht wird. Sein Werk ist ein Zeugnis für die Kraft der Kunst als Mittel, Geschichte zu konfrontieren und zugleich neue mögliche Zukünfte zu erdenken. In einem von Spaltungen und Konflikten geprägten Jahrhundert zeigt uns seine Arbeit, dass Kunst immer noch ein Raum für Dialog, Reflexion und Hoffnung sein kann.
















