Hört mir gut zu, ihr Snobs: Wir stehen vor einem Maler, der sich entschieden hat, die Konventionen des Sichtbaren zu überwinden, um die geheime Architektur reiner Empfindung zu offenbaren. Winston Branch, geboren 1947 in Sainte-Lucie und ausgebildet in den Londoner Ateliers der 1960er Jahre, verkörpert die Künstlergeneration, die die Abstraktion zu einer universellen Sprache gemacht hat, die direkt unsere intimsten Fasern anspricht.
Wenn Branch sagt: “Für mich besteht Malerei darin, eine amorphe Substanz wie Farbe zu nehmen und sie in ein illusorisches Bild zu verwandeln, wodurch die Sinnlichkeit des Gefühls evoziert wird. Farbe ist Licht, und durch die Farbe drücke ich meine Menschlichkeit aus”, offenbart er sofort die philosophische Dimension seines Schaffens. Denn es geht nicht einfach ums Malen, sondern darum, den Rohstoff in eine transzendente Erfahrung zu verwandeln.
Sein geografischer Werdegang von Sainte-Lucie nach London, dann von Berlin nach Kalifornien und über New York führt eine Landkarte der zeitgenössischen künstlerischen Erforschung vor. Als Absolvent der Slade School of Fine Art im Jahr 1970 setzte sich Branch schnell als außergewöhnliches Talent durch, indem er den renommierten britischen Prix de Rome gewann, der unter anderem von der Royal Academy vergeben wird. Diese klassische Ausbildung gab ihm die notwendigen technischen Grundlagen, doch seine allmähliche Abkehr von der Figuration offenbart seine wahre Einzigartigkeit.
Der Kritiker Carlos Diaz Sosa erfasst diese Dimension perfekt, wenn er Branchs Gemälde als “abstrakte Werke mit frischen und wolkigen Farben beschreibt, die dem Betrachter die Möglichkeit bieten, in die Tiefen des Geistes einzutauchen. Branch verwendet die Malerei als Symbol, eine rein ästhetische Sprache, eine Illustration des Geistes”.
Die Offenbarung von Clyfford Still und das Erbe des abstrakten Expressionismus
Während seines New Yorker Aufenthalts, ermöglicht durch ein Guggenheim-Stipendium 1978, erlebte Branch eine wahre künstlerische Erleuchtung angesichts der Werke von Clyfford Still. Wie er selbst erzählt: “Es gab eine unglaubliche Ausstellung von Clyfford Still. Sie hat mich umgehauen, die Gemälde bedeckten riesige Wände. Ich dachte, genau das will ich machen.” Diese Begegnung mit dem amerikanischen abstrakten Expressionismus wurde entscheidend für seine künstlerische Entwicklung.
Der Einfluss von Still auf Branch geht über die bloße Größenfrage hinaus. Clyfford Still, eine Schlüsselfigur der New Yorker Schule neben Jackson Pollock und Mark Rothko, hatte bereits in den 1940er Jahren einen radikal neuen Ansatz der Abstraktion entwickelt. Still suchte nach dem, was er die “vertikale Notwendigkeit des Lebens” nannte, eine Malerei, die den existenziellen Kampf des menschlichen Geistes gegen die Naturkräfte darstellt.
Diese philosophische Dimension hallt tief bei Branch nach, der diese Suche nach dem Erhabenen in seinen eigenen Gemälden widerspiegelt. Doch wo Still dramatische Kontraste zwischen Dunkelheit und Licht bevorzugte, entwickelt Branch einen nuancierteren, atmosphärischeren Ansatz. Seine Kompositionen zeigen eine besondere Sensibilität für chromatische Übergänge, für subtile Wechsel der Töne, die weniger Konfrontation als Gemeinschaftlichkeit hervorrufen.
Das Erbe des amerikanischen abstrakten Expressionismus bei Branch beschränkt sich nicht auf die Aneignung bestimmter Techniken. Es handelt sich um eine wahre geistige Abstammung von jener Künstlergeneration, die in der Nachkriegszeit versuchte, die malerische Sprache neu zu erfinden, um die existenziellen Fragestellungen ihrer Zeit auszudrücken. Wie Still lehnt Branch jeglichen Kompromiss mit Narrativem oder Dekorativem ab. Seine Malerei zielt auf das Wesentliche: den direkten Ausdruck der Emotion durch die reine Materialität der Farbe.
Dieser Einfluss zeigt sich auch in seiner Auffassung des Ateliers als Laboratorium. Branch erklärt: “In gewissem Sinne ist ein Maler wie ein Wissenschaftler und sein Atelier ist sein Labor.” Dieser experimentelle Ansatz, der von den abstrakten Expressionisten geerbt wurde, macht jedes Bild zu einer Forschung, einer Erkundung der unendlichen Möglichkeiten von Farbe und Form.
Die Monumentalität von Stills Werken findet bei Branch eine intimere, aber nicht weniger kraftvolle Umsetzung. Seine Bilder besitzen, obwohl oft in kleinerem Format, die Fähigkeit, den Betrachter einzuhüllen, charakteristisch für die amerikanische Kunst der 1950er Jahre. Sie schaffen eine total sensorische Umgebung, die zur Eintauchung einlädt statt zur distanzierten Betrachtung.
Turner und die Tradition des britischen Lichts
Parallel zu dieser amerikanischen Abstammung gehört Branch zu einer speziell britischen Tradition der Lichtmalerei, deren Schutzpatron J.M.W. Turner bleibt. Dieser doppelte Einfluss offenbart den Reichtum seiner kulturellen Bildung und erklärt teilweise die Originalität seines Schaffens.
Turner, unangefochtener Meister der Aquarellmalerei und Pionier der modernen Abstraktion, entwickelte bereits Anfang des 19. Jahrhunderts einen revolutionären Ansatz zur Farbe. Seine späten Aquarelle, besonders diejenigen, die er auf seinen Reisen in die Schweiz und nach Venedig anfertigte, antizipieren bemerkenswert die Forschungen der zeitgenössischen Kunst. Branch selbst erkennt diese Abstammung an: “Er hat jegliche Realität völlig ausgelöscht. Es war nur Kadmiumgelb und Ausbrüche von Rot”, und bezieht sich damit auf Turners späte Aquarelle.
Diese Bezugnahme auf Turner ist nicht nebensächlich. Sie offenbart bei Branch ein tiefes Verständnis der britischen Kunstgeschichte und ihrer Besonderheiten. Turner war der Erste, der systematisch die Effekte von Transparenz und chromatischer Überlagerung nutzte und jene berühmten “Farbschleier” schuf, die scheinbar auf der Leinwand schweben. Branch greift diese Technik in seinen zeitgenössischen Acrylbildern auf und aktualisiert sie.
Das turnersche Erbe bei Branch zeigt sich auch in seinem Verhältnis zur Natur. Wie Turner, der in atmosphärischen Phänomenen eine unerschöpfliche Inspirationsquelle fand, schöpft Branch aus seiner Erfahrung karibischer Landschaften eine außergewöhnlich reiche Farbpalette. Seine Blautöne erinnern an die Tiefen des Ozeans, seine Gelbtöne an die Gewalt der Tropensonne, seine Rottöne an das Glühen der Sonnenuntergänge in Äquatornähe.
Doch Branch begnügt sich nicht damit, diese visuellen Erfahrungen zu übertragen. Er verwandelt und überhöht sie durch den malerischen Prozess selbst. Wie Turner in seinen späten Werken erreicht er jene Dimension, in der die Malerei aufhört, Darstellung zu sein, und zur reinen Präsenz, reinen farblichen Intensität wird.
Branchs Technik, die darin besteht, Acrylschichten zu überlagern und dabei gestische Spontaneität zu bewahren, erinnert an Turners Innovationen in der Aquarelltechnik. Diese Beherrschung von Transparenz und Opazität, von Fließfähigkeit und Dichte, schafft jene Tiefen- und Leuchtkraft-Effekte, die seine besten Werke kennzeichnen.
Der Einfluss Turners zeigt sich auch in Branchs noch umfassenderem Verständnis seiner Kunst. Für Turner sollte die Malerei laut John Ruskin “die Stimmungen der Natur ausdrücken”. Branch überträgt dieses Anliegen auf das Gebiet der zeitgenössischen Abstraktion und versucht, nicht mehr die Stimmungen der äußeren Natur, sondern die der inneren Natur, des Bewusstseins und der menschlichen Sensibilität auszudrücken.
Diese Verbindung zu Turner erklärt auch Branchs Erfolg bei britischen Sammlern. Die Tate Britain, die die größte Sammlung von Turners Werken bewahrt, erwarb 2017 logisch Branchs Hauptwerk “Zachary II”. Diese institutionelle Anerkennung bestätigt Branch als legitimen Erben der großen britischen malerischen Tradition.
Die geografische Odyssee und der Aufbau der künstlerischen Identität
Branchs Werdegang veranschaulicht perfekt jene Geografie der zeitgenössischen Kunst, in der sich Einflüsse kreuzen und gegenseitig befruchten. Geboren in Sainte-Lucie, ausgebildet in London, lebte er nacheinander in Rom, Berlin, New York und Kalifornien und verkörpert damit die typische Gestalt des nomadischen Künstlers der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts.
Jede Etappe dieser Reise trägt zur Bereicherung seiner malerischen Sprache bei. Rom vermittelt ihm die Beherrschung der klassischen Tradition und das Verständnis der großen Geschichtsmalerei. Berlin bietet ihm durch das DAAD-Programm Raum und Freiheit für Experimente. New York konfrontiert ihn mit den zeitgenössischen Avantgarden. Kalifornien ermöglicht ihm eine hedonistischere und hellere Herangehensweise an die Farbe.
Doch vielleicht zeigt gerade seine regelmäßige Rückkehr nach Sainte-Lucie die tiefe Kohärenz seines Schaffens am besten. Branch flieht nämlich nicht vor seinen Ursprüngen, sondern verwandelt sie. Das karibische Licht, die tropischen Farben und die chromatische Intensität seiner Kindheitslandschaften nähren direkt seine abstrakte Malerei.
Diese Fähigkeit, scheinbar widersprüchliche Einflüsse zu synthetisieren, ist eine der großen Stärken Branchs. Er versöhnt das europäische Erbe mit der amerikanischen Innovation, die britische Tradition mit der tropischen Üppigkeit, die konzeptuelle Strenge mit dem sinnlichen Verfall.
Branchs Werk zeichnet sich durch eine besondere Beziehung zum malerischen Material aus. Vorwiegend verwendet er Acryl, ein Medium, das schnelles Trocknen und Transparenzeffekte ermöglicht, und entwickelt eine persönliche Technik der Übereinanderlegung farbiger Schichten.
Dieser technische Ansatz offenbart eine tief originelle Malphilosophie. Für Branch ist Farbe kein Zierwerk, sondern Substanz. Sie schmückt nicht, sie bildet. So wird jede Leinwand zur Erkundung der Ausdrucksmöglichkeiten reiner Farbe, befreit von jeder repräsentativen Funktion.
Seine Kompositionen zeigen eine außergewöhnliche Beherrschung der chromatischen Beziehungen. Die Blautöne treten in Dialog mit den Orangen, die Gelbtöne vibrieren gegen die Violetten und erzeugen dynamische Spannungen, die das Auge stets wach halten. Doch diese technische Virtuosität ist niemals umsonst. Sie dient einem künstlerischen Vorhaben von beträchtlichem Ehrgeiz: das Unsichtbare zu offenbaren, dem Unaussprechlichen Gestalt zu geben.
Das Erbe und die Anerkennung
Heute, mit fast achtzig Jahren, erfährt Branch endlich die Anerkennung, die er verdient. Der Erwerb von “Zachary II” durch die Tate, Ausstellungen in der Galerie Cahiers d’Art in Paris, bedeutende Verkäufe bei Christie’s und Sotheby’s bestätigen ein Werk von beispielhafter Kohärenz.
Diese späte Anerkennung lässt sich teilweise durch die Widerstände des Kunstmarktes gegenüber einem Werk erklären, das einfache Kategorisierungen ablehnt. Branch gehört keiner Schule an, beruft sich auf keine Bewegung. Seine Kunst schöpft aus den vielfältigsten Quellen, um eine absolut persönliche Sprache zu schaffen.
Aber genau diese Unabhängigkeit ist seine Stärke. In einer Kunstwelt, die oft von Modetrends und kommerziellen Strategien dominiert wird, repräsentiert Branch die Figur des authentischen Künstlers, der seiner inneren Vision treu bleibt.
Denn Branch verkörpert vor allem jene kardinale Tugend des wahren Künstlers: die Beharrlichkeit. Beharrlichkeit in der Suche, Beharrlichkeit im Experimentieren, Beharrlichkeit in der Treue zu sich selbst trotz Unverständnis und materieller Schwierigkeiten.
Sein Beispiel erinnert daran, dass wahre Kunst nicht aus der Leichtigkeit, sondern aus dem ständigen Kampf mit dem Widerstand des Materials und der Forderung nach Ausdruck entsteht. Jede Leinwand von Branch zeugt von diesem täglichen Kampf, dem Geheimnis der Farbe und Form auf den Grund zu gehen.
Diese Beharrlichkeit findet ihre Belohnung in der außergewöhnlichen Qualität seiner letzten Werke. Die jüngsten Gemälde zeigen einen Künstler, der seine volle Reife erreicht hat und in wenigen Gesten die Erfahrung eines dem Kunstleben gewidmeten Lebens zu bündeln vermag.
Das Werk von Branch illustriert perfekt dieses Paradoxon der zeitgenössischen Kunst: Je mehr ein Künstler seine Einzigartigkeit vertieft, desto mehr berührt er das Universelle. Indem er die intimsten Ressourcen seiner Sensibilität erforscht, schafft Branch eine Sprache, die jeden Betrachter anspricht.
Seine Leinwände besitzen jene seltene Qualität wahrer Kunst: Sie widerstehen der Erschöpfung des Blicks. Man kann sie unendlich betrachten und stets neue Farbbeziehungen, neue Harmonien entdecken. Sie bieten jene Erfahrung der reinen Kontemplation, nach der die alten Meister strebten.
Denn Branch ist es gelungen, die spirituellen Ambitionen der traditionellen Kunst wieder aufzugreifen und zugleich die Sprache der Moderne zu nutzen. Seine abstrakten Gemälde erhalten jene meditative Funktion zurück, jene Fähigkeit zur Erhebung, die die heiligen Werke der Vergangenheit besaßen.
Der pädagogische Einfluss von Branch ist hervorzuheben. Als Professor an der University of California in Berkeley und der Kansas State University hat er zahlreiche Künstler ausgebildet, die heute seine Lehre fortführen. Diese Weitergabe offenbart eine wesentliche Dimension seines Werks: seine Großzügigkeit.
Denn Branch hütet seine technischen Geheimnisse nicht eifersüchtig. Er teilt sie, erklärt sie, gibt sie weiter. Diese Offenheit zeugt von einem edlen Kunstverständnis als gemeinsames Erbe der Menschheit.
Seine ehemaligen Studenten bezeugen einstimmig seine Fähigkeit, bei jedem die besonderen expressiven Potenziale zu entfalten. Anstatt eine Methode vorzuschreiben, wusste Branch seinen Unterricht an die Persönlichkeit jedes Schülers anzupassen.
Das Licht von Sainte-Lucie
Zum Schluss muss man zu jener ursprünglichen Quelle zurückkehren, die Sainte-Lucie in Branch’ Vorstellung bildet. Diese Insel, zwischen Frankreich und England umstritten, kolonialisiert und befreit, bietet eine perfekte Metapher der zeitgenössischen Kondition: multiple Identität, komplexe Zugehörigkeit, Reichtum aus Vielfalt.
Branch ist es gelungen, diese komplexe Identität als kreative Kraft zu transformieren. Statt sie als Zwang zu erleiden, nimmt er sie als Reichtum an. Seine Malerei synthetisiert die verschiedensten Einflüsse, ohne je ihre tiefe Kohärenz zu verlieren.
Das tropische Licht seiner Kindheit durchströmt weiterhin seine londoner Leinwände. Diese Treue zur Herkunft, durch die Kunst verklärt, ist vielleicht das Geheimnis seiner besonderen Genialität.
Heute erklärt Branch, er wolle “seinen Namen in das Register der britischen Kultur eintragen”. Dieser berechtigte Wunsch nach voller Anerkennung darf das Wesentliche nicht verdecken: Branch hat seinen Namen bereits in der Geschichte der zeitgenössischen Kunst geschrieben. Seine Gemälde werden lange von dieser beharrlichen Suche nach reiner Schönheit, von dieser beispielhaften Treue zum Wesen der Malerei zeugen.
Car Winston Branch erinnert uns an diese grundlegende Wahrheit: Die Malerei ist nicht tot. Sie verwandelt sich, entwickelt sich weiter, erneuert sich, bleibt aber jene unverzichtbare Kunst, die es dem Menschen ermöglicht, seinen geheimsten Träumen sichtbare Gestalt zu verleihen.
- Offizielle Website von Winston Branch, “Über Winston”, winstonbranch.com, besucht im Juli 2025
- Carlos Diaz Sosa, zitiert auf der offiziellen Website von Winston Branch und in verschiedenen Quellen
- Cedric Bardawil, “Im Studio mit Winston Branch”, cedricbardawil.com, 2023
- Interview in House Collective, “Abstrakte Seele: Der legendäre Künstler Winston Branch”, 2025
- Cedric Bardawil, “Im Studio mit Winston Branch”, cedricbardawil.com, 2023
- Christie’s, “Die bezaubernden Leinwände von Winston Branch”, September 2023
















